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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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spricht die Stimme des Blutes nicht zu dir?‹ Ich hielt das Messer einen Augenblick still, schnitt dann das nächste Salatblatt sauber und sagte: ›Nein, die Stimme des Blutes spricht nicht zu mir.‹ ›Ich bin deine Mutter‹, sagte sie.
    ›Nein‹, sagte ich, ›die da ist meine Mutter. Ich heiße Marianne Schmitz‹, und ich schwieg einen Augenblick und sagte: ›Er hat es befohlen - und Sie haben mir die Schlinge um den Hals gelegt, gnädige Frau.‹ Das hatte ich bei der Schneiderin gelernt, daß man zu solchen Frauen ›gnädige Frau‹ sagen muß.
    Sie schrie und weinte, und sie versuchte mich zu umarmen, aber ich hielt das Messer, mit der Spitze nach vorne, vor meine Brust; sie sprach von Schulen und von Studieren, schrie und
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    weinte, aber ic h lief zum Hintereingang hinaus, in den Garten übers Feld zum Pfarrer und erzählte ihm alles. Er sagte: ›Sie ist deine Mutter, Naturrecht ist Naturrecht, und bis du großjährig wirst, hat sie ein Recht auf dich; das ist eine schlimme Sache.‹
    Und ich sagte: ›Hat sie nicht dieses Recht verwirkt, als sie das Spiel spielte: Er hat es befohlen?‹ und er sagte: ›Du bist aber ein schlaues Ding; merk dir das Argument gut.‹ Ich merkte es mir und brachte es immer wieder vor, wenn sie von der Stimme des Blutes sprachen, und ich sagte immer: ›Ich höre die Stimme des Blutes nicht, ich höre sie einfach nicht.‹ Sie sagten: ›Das gibt es doch gar nicht, ein solcher Zynismus ist wider die Natur‹; ›Ja‹, sagte ich: ›Er hat es befohlen - das war wider die Natur.‹ Sie sagten: ›Aber das ist doch mehr als zehn Jahre her, und sie bereut es‹; und ich sagte: ›Es gibt Dinge, die man nicht bereuen kann.‹ ›Willst du‹, fragte sie mich, ›härter sein als Gott in seinem Gericht?‹ ›Nein‹, sagte ich, ›ich bin nicht Gott, also kann ich nicht so milde sein wie er.‹ Ich blieb bei meinen Eltern. Aber eins konnte ich nicht verhindern: ich hieß nicht mehr Marianne Schmitz, sondern Marianne Droste, und ich kam mir vor wie jemand, dem sie was wegoperiert haben. - Immer noch«, sagte sie leise, »denke ich an meinen kleinen Bruder, der das Spiel Er hat es befohlen hat spielen müssen - und glaubst du immer noch, daß es etwas Schlimmeres gibt, schlimm genug, daß du es mir nicht erzählen kannst?«
    »Nein, nein«, sagte er, »Marianne Schmitz, ich will's dir erzählen.«
    Sie nahm die Hand von seinen Augen, er richtete sich auf, blickte sie an; sie versuchte nicht zu lächeln.
    »So etwas Schlimmes kann dein Vater gar nicht getan haben«, sagte sie.
    »Nein«, sagte er, »so schlimm war es nicht, aber schlimm genug.«
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    »Komm«, sagte sie, »erzähl's mir im Auto, es ist bald fünf, und sie werden schon warten; wenn ich einen Großvater hätte, ich würde ihn nicht warten lassen, und wenn ich einen hätte wie du, ich würde alles für ihn tun.«
    »Und für meinen Vater?« fragte er.
    »Ich kenne ihn noch nicht«, sagte sie, »komm. Und drück dich nicht, sag's ihm, sobald du Gelegenheit dazu hast. Komm.«
    Sie zog ihn hoch, und er legte den Arm um ihre Schulter, als sie zum Auto zurückgingen.
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    9
    Der junge Bankbeamte blickte mitleidig auf, als Schrella seine fünf englischen Schillinge und dreißig belgischen Franken über die Marmortheke schob.
    »Ist das alles?«
    »Ja«, sagte Schrella, »das ist alles.«
    Der junge Beamte setzte seine Rechenmaschine in Bewegung, drehte mißmutig die Kurbel - die geringe Anzahl der Umdrehungen drückte schon Verachtung aus -, schrieb flüchtig ein paar Zahlen auf einen Zettel, schob Schrella ein Fünfmarkstück, vier Groschenmünzen und drei Pfennige über die Theke.
    »Der Nächste, bitte.«
    »Nach Blessenfeld«, fragte Schrella leise, »können Sie mir sagen, ob dorthin immer noch die Elf fährt?«
    »Ob die Elf nach Blessenfeld fährt? Ich bin nicht die Straßenbahnauskunft«, sagte der junge Beamte, »und außerdem weiß ich es wirklich nicht.«
    »Danke«, sagte Schrella, ließ das Geld in seine Tasche gleit en, machte den Platz am Schalter frei für einen Mann, der einen Packen Schweizer Frankenscheine über die Theke schob; Schrella hörte noch, wie sich die Kurbel der Rechenmaschine respektvoll zu vielen Drehungen in Bewegung setzte.
    ›Höflichkeit ist doch die sicherste Form der Verachtung‹, dachte er.
    Bahnhofshalle. Sommer. Sonne. Heiterkeit. Wochenende.
    Hotelpagen schleppten Koffer auf Bahnsteige; eine junge Frau hielt ein Schild hoch: ›Reisende nach Lourdes hier

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