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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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angesehen werden, wie sie für Alkoholikerfamilien typisch sind. Dazu zählen etwa ein vergleichsweise hohes Maß an ehelichen Konflikten, psychische Störungen auf Seiten der Eltern oder auch das schwierige Temperament des Kindes selbst. Zugleich kann eine sichere Bindungsbeziehung zur nichtsüchtigen Elternperson auch als Schutzfaktor gesehen werden, der unter Umständen die negativen Folgen des Lebens in einer Alkoholikerfamilie modifiziert. »Ein Schutzfaktor ist ein Faktor, der den Risikoeffekt in Richtung des Positiven modifiziert« (Luthar & Cicchetti 2000, S. 858). Natürlich kann man sagen, dass eine sichere Bindung an die primäre Bezugsperson sich für alle Kinder positiv auswirkt; der modifizierende Effekt eines Schutzfaktors wird aber vielleicht nur unter besonders widrigen oder riskanten Umständen erkennbar (Rutter 1987; Werner 1986). Mit anderen Worten: Kinder mit einer sicheren Mutterbindung mögen ganz generell geringfügigere Verhaltensprobleme zeigen als Kinder mit einer unsicheren Mutterbindung. Ähnlich geringfügige Verhaltensprobleme können sich aber selbst bei Vorliegen besonders widriger Umstände auch bei Kindern finden, die ein hohes familiäres Risiko, zugleich aber auch einen starken Schutzfaktor haben. Das heißt also, die primäre Auswirkung des Umstandes, dass man das Kind eines alkoholkranken Vaters ist – anders ausgedrückt: der Zusammenhang zwischen dem Alkoholismus des Vaters und dem Problemverhalten des Kindes –, unterliegt dem modifizierenden Einfluss der Bindungssicherheit des Kindes gegenüber der nichtsüchtigen Elternperson.
    Im Rahmen der hier interessierenden Studie untersuchten wir die Sicherheit der Mutterbindung von 12 Monate alten Kindern alkoholkranker Väter als potentiellen Schutzfaktor gegenüber Verhaltensproblemen, wie sie im Laufe der Zeit, nämlich in der Altersspanne zwischen 18 und 36 Monaten, bei Alkoholikerkindern auftreten. Unsere Hypothese lautete: 1.) Kinder alkoholkranker Väter werden mehr und zunehmend größere Verhaltensprobleme externalisierender und internalisierender Art an den Tag legen als Kinder von Nichtalkoholikern; 2.) eine frühe sichere Mutterbindung dieser Kinder wird den Einfluss der Alkoholabhängigkeit des Vaters auf das im Kleinkindalter zu erwartende problematische Verhalten abschwächen. Präziser gesagt: Wir nahmen an, dass diejenigen Kinder in der Alkoholikergruppe, die eine sichere frühe Mutterbindung zeigten, geringere Verhaltensprobleme präsentieren würden als ihre schon frühzeitig unsichergebundenen »Kollegen«. In der Erwartung, dass das Ausmaß des problematischen Verhaltens bei den Kindern der Nichtalkoholikergruppe generell niedrig sein würde, rechneten wir nicht damit, in dieser letztgenannten Gruppe auf Anzeichen einer Schutzwirkung oder auf einen signifikanten Unterschied zwischen sicher gebundenen und unsicher gebundenen Kindern zu treffen. Da in der Zeit vom Kleinkind- bis zum Vorschulalter mit dem Auftreten von Verhaltensproblemen zu rechnen ist, lag der Schwerpunkt dieser Studie auf dem, was die Mütter berichteten, als die Kinder 18, 24 und schließlich 36 Monate alt waren.
    Die Verhaltensprobleme der 18 Monate, 24 Monate und schließlich 36 Monate alten Kinder wurden mit der für das zweite und das dritte Lebensjahr geltenden Version der Child Behavior Checklist (CBCL; Achenbach 1992) erfasst, und zwar anhand der beiden breit gefassten Dimensionen des internalisierenden und des externalisierenden Verhaltens. Höhere Punktwerte verweisen auf ein höheres Maß an Verhaltensproblemen der Kleinkinder. Wegen gewisser Bedenken, was die Glaubwürdigkeit der Berichte von alkoholkranken Vätern über das Verhalten ihrer Kinder anging, wurden für alle Analysen die Berichte der Mütter herangezogen. Die Analysen beschränkten sich auf die Gruppen der Nichtalkoholiker- und derjenigen Familien, in denen nur der Vater alkoholkrank war. Familien, in denen beide Eltern alkoholabhängig waren, blieben von der Analyse ausgeschlossen.
    Um festzustellen, ob die Sicherheit der frühen Mutterbindung sich auf den Zusammenhang zwischen dem Alkoholismus des Vaters und den Verhaltensproblemen des Kindes auswirkt, wurde eine Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung zunächst für die Internalisierungs- und dann für die Externalisierungsprobleme als abhängigen Variablen durchgeführt; das Alter des Kindes fungierte als »Within-subjects-Faktor«, 1 die Zugehörigkeit zur Gruppe der Alkoholikerfamilien und die

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