Bis ich dich finde
der seelischen Verfassung,
die sie später dazu trieb, nach Chile zu fahren.
In diesen Jahren vergrößerte Jack die innere Distanz zwischen
seiner Mutter und sich selbst, ein Prozeß, den Alice eingeleitet hatte, als
Jack in St. Hilda zur Schule gegangen war. Wenn er mit Emma zusammen war,
fühlte er sich immer beflügelt, und ihre Freundschaft wuchs. Er war zu jung und
neigte noch zu sehr dazu, Frauen als etwas ganz Neues zu betrachten, um sich
einzugestehen, daß er Emma vergötterte.
Nur Emma verstand, warum er in den vier Jahren in Exeter, einer
gemischten Schule, eigentlich nie eine Freundin hatte. Emma wußte, daß er
ältere Frauen bevorzugte, und in Exeter waren die Mädchen eben nur Mädchen. In
der neunten Klasse war Jack vierzehn und ging auf die Fünfzehn zu, und einige
der älteren Schülerinnen, die siebzehn oder achtzehn waren, interessierten ihn,
doch inzwischen war er kein hübscher kleiner Junge mehr, sondern ein
schlaksiger Teenager. In den ersten beiden Jahren in Exeter ignorierten ihn die
älteren Mädchen.
Natürlich sah er Emma hin und wieder, nicht nur in den Schulferien
oder im Sommer. Nachdem sie in St. Hilda den Abschluß gemacht hatte, studierte
sie an der McGill University in Montreal, was Mrs. Oastler, die eine
Lokalpatriotin war, sehr un-torontisch (wenn nicht gar anti-torontisch) fand.
[403] Emma war bald gelangweilt, nicht von ihrem Studium, aber von den
Frankokanadiern. Sie war eine ausgezeichnete Studentin, auch wenn Französisch
nicht ihr Lieblingsfach war, und sie stellte fest, daß sie französische Filme
lieber mit Untertiteln sah. Und die Filme selbst gefielen ihr noch besser.
Sie wechselte zur New York University und entschied sich für
Filmgeschichte als Hauptfach. An der McGill hatte sie gute Noten bekommen; ihre
Scheine wurden ihr angerechnet, und sie liebte New York. Im Herbst 1979, als
Jack sein erstes Jahr in Exeter verbrachte, begann Emma ihr zweites
Studienjahr, ihr erstes an der NYU . Sie lud ihn
ein, und er fuhr für ein Wochenende nach New York. Es war ein kurzes
Wochenende. In Exeter war samstags vormittags Unterricht, die Fahrt von New
Hampshire nach New York nahm den Rest des Tages in Anspruch, und am Sonntag
abend um acht Uhr mußte Jack wieder zurück sein.
Dennoch verbrachte er einen aufregenden Samstagabend und
Sonntagvormittag mit Emma und ihren Filmfreunden. Sie gingen in ein Kino, in
dem bis zum Morgen Billy-Wilder-Filme gezeigt wurden. Jack kannte Wilders Filme
nicht, hatte aber immerhin in Toronto mit seiner Mutter Manche
mögen’s heiß gesehen. Damals war er neun oder zehn, und als Marilyn
Monroe in ihrem paillettenbesetzten Kleid »I Wanna Be Loved by You« sang, bekam
er einen Ständer und beging den Fehler, seine Mutter darauf aufmerksam zu
machen. (Alice’ Sarkasmus konnte, wenn es um Jacks Penis ging, geradezu brutal
sein. Sie sagte zwar nicht: »Genau wie dein Vater«, doch der Blick, mit dem sie
ihn ansah, sprach Bände.)
In New York war der erste Film, den Jack, Emma und ihre Freunde
sahen, Fünf Gräber bis Kairo, doch Jack konnte sich
später nur an den Anfang erinnern, an den Geisterpanzer, der gefallene Soldaten
durch die Wüste transportiert. Er vergaß alles, was danach mit Franchot Tone
geschah – hauptsächlich, weil Emma ihre Hand auf seinen Schoß legte und während
des Rests [404] des Films seinen Penis hielt. Erst Jahre später erfuhr Jack, daß
Rommel von Erich von Stroheim gespielt worden war.
Emma hielt seinen Penis auch während Das
verlorene Wochenende, bei dem Jack auf den Gedanken verfiel, Ray Milland
sehe aus wie sein Vater – oder jedenfalls so, wie er sich William in
betrunkenem Zustand vorstellte.
Den ganzen Boulevard der Dämmerung verschlief Jack an Emmas Schulter, danach wachte er auf und sah, obgleich er
dringend pinkeln mußte, Reporter des Satans von
Anfang bis Ende. Beim Frühstück am Sonntag morgen fanden Emmas Filmfreunde, er
hätte Reporter des Satans verschlafen und Boulevard der Dämmerung sehen sollen.
»Das ist es, was ich an dir so liebe, Süßer«, sagte Emma. »Hör
einfach nicht auf sie.« Jack mochte ihre Freunde nicht besonders, aber mit Emma
zusammenzusein, war jede Minute der weiten Reise wert.
Er wurde nie ein Wilder-Fan, obwohl Wilder aus Wien stammte und Jack
auch in seinen amerikanischsten Filmen die europäischen Elemente erkannte. Es
waren die europäischen Regisseure, die Jack am meisten interessierten, und Emma
Oastler war es, die ihn mit ihnen bekannt machte. Ob mit Emma
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