Bismarck 01
guten Gesellschaft gibt, kam ihm von Herzen oder schien wenigstens aus der Gegend zu kommen, wo anatomisch das Herz zu sitzen pflegt. » Nest-ce-pas, ma Chère ?« berief er sich auf seine Gemahlin, »hier ist es charmant, hier lebt man wie Gott in Frankreich – – wollte sagen, in Frankfurt. Werden's Ihna amüsirrn, soag' ich Ihnen. Warst du heut in der heiligen Messe?« erkundigte er sich besorgt bei der Gräfin und bekreuzte sich dabei. » Oui? Mais c'est très bien, ma mignonne . Aus diesem sündigen Jammertal führen alle Wege nach Rom zu unserer heiligen Kirche.« Obwohl er sich erinnerte, daß der Preuße ein Protestant sei, unterließ er nicht diese kleine fromme Farce, die ihm übrigens nicht als solche erschien. Er erzielte Sündenablaß sowohl bei sich selber als bei seiner bigotten Gräfin, indem er streng alle Gebräuche des Katholizismus befolgte und sich dem Herzen Jesu sogar durch Fastenspeise am Freitag empfahl. Die Forellen aus dem Taunus schmeckten in der Tat sehr gut.
Als die Gräfin gegangen war und Bismarck seinen Hut ergriff, drückte ihn der biedere, leutselige Graf freundschaftlich auf den Sessel nieder. »Noch ein Wort zur Begrüßung unter uns Kollegen! Man vernimmt, unser lieber Rochow wird uns verlassen, und Sie treten an seine Stelle. Serr gut! Sie kohmähn frisch von Ihrem berühmten Athen – – wollte sagen Berlin am – – wie sagt man doch – – am grünen Strand der Spree. Waren's schon an der schönen, blauen Donau?« Otto verneigte sich. »Aber wohl nicht in ahmtlicher Eigenschaft?«
Die treuherzige Bosheit verstehend, versetzte jener kühl: »In privatester Eigenschaft ... auf der Hochzeitsreise.«
»Oh! Hab ich auch mal gemacht!« rief Thun mit echter Begeisterung. »Trauen's mir das nit zu?« O je, sogar ein Dutzend ähnlicher Reisen! dachte Otto belustigt, » La jeunesse dorée ! Nun plauschen's mal offen, wertester Herr Geheimrat – oder soll ich schon sagen Exzellenz? –, wie hat's Ihna g'folln?«
»Ausgezeichnet!« beeilte sich der Preuße zu versichern.
»Wär' net zu verstähn, woans anders wär. 's gibt nur a Koaserstadt, 's gibt nur a Wean! singet der Fiaker, und wir drahn uns all mit. So a Weaner Walzer ihs zu kreuzfidöll. Ja, liebe Exzellenz, wir Österreicher sind halt gemütliche Leut' und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein, wenn ich mich so profan ausdrücken darf.« Er bekreuzigte sich rasch.»Gemütlichkeit ist unser Faible, und da sollten die lieben Preußen halt auch a bissel gemiehtlich sein. Mein einzig Bestreben in unserer hohen Versammlung ist gutes Einvernähmehn mit unserem nordischen Bruderstaat. Österreich und Preußen Hand in Hand für das Recht, für die moralische Weltordnung der legitimen Monarchien!«
Der Preuße erhob sich. »An mir soll es nicht fehlen. Es gibt ja auch so viel Berührungspunkte der Interessen. Und wo sie divergieren, wird sich ja wohl ein Ausgleich finden.«
»Meinen Sie?« Einen Augenblick riß die Larve der eleganten halbverächtlichen Nachlässigkeit eines Kavaliers am Hazardtisch, der dabei heimlich mit scharfer Profitgier die Chancen der Karten und ihre »Veine« Dusel, Glück berechnet. Otto sah auf einen Blick, daß er es mit einem ungewöhnlich schlauen und gewiegten Ränkeschmied (vulgo Diplomaten) zu tun hatte. »Aber ja! Je suis insouciant, moi, je m'en moque. Wozu so viel Trakasserie um reine Bagatellen! Wir verstehen uns, und das liebe, gute Teutschland schläft sicher in unserer Hut. L'Autriche et la Prusse c'est un mariage libre et l'Allemagne est l'enfant naturel de leur ménage. Verzeihen's, meine liebe Exzellenz, 's läßt sich nur auf Französisch sagen. Oh quelle langue! « –
Ganz recht, dachte der Preuße, als er in seinen Wagen stieg, um die Runde seiner Besuche fortzusetzen. Dieser geistreiche Unsinn, den er weiß Gott wo aufschnappte, läßt sich nicht auf Deutsch sagen. Die freie Ehe von Österreich und Preußen ... Deutschland als »natürliche Tochter« frei nach Goethe ... und dabei ist's unsere sehr natürliche Mutter, von der wir beiden höchst legitim abstammen. Ein gefährlicher Geselle! Wähnt er, ich werde ihm trauen? Der legt jeden hinein, wer ihm nicht mit gleicher Münze zahlt. Leute von der Schwarzenberg-Schule erachten niemals Gerechtigkeit und Billigkeit als gute Politik, und mir ist's recht, daß es so ist. Denn mit moralischen Rücksichten auf Mein und Dein bliebe man höchstens beim famosen status quo ante , und der gerade soll beseitigt werden. Jetzt haben
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