Blitz kehrt heim
Hengst nicht eine Minute unbeaufsichtigt lassen würde, bis Alec am Nachmittag aus der Schule zurück war. Gleich auf dem Weg zur Schule wollte er rasch auf dem Polizeirevier vorsprechen und Anzeige erstatten; die Polizisten waren alle stolz auf Blitz; vielleicht würde der Inspektor den Stall während der Nacht bewachen lassen. Auf alle Fälle würde er selber im Stall bei seinem Pferd schlafen. Gottseidank folgten auf die Abschlußprüfungen die langen Sommerferien, und während dieser drei Monate wollte er nicht von Blitz’ Seite weichen.
Unter diesen Gedanken erreichte er das Eisentor des Hofes. Das Schloß war in Ordnung, und Alec zweifelte daran, daß jemand den hohen Zaun mit dem darübergespannten Stacheldraht überklettert haben konnte. Offensichtlich hatte der Eindringling einen Nachschlüssel benützt. Nicht ausgeschlossen war allerdings auch, daß Tony, der Gemüsehändler, dessen altes graues Pferd Napoleon die zweite Box im Stall innehatte und Blitz’ bester Freund war, vergessen hatte, das Tor hinter sich zu schließen. Tony fuhr immer vor Tau und Tag zum Markt mit seinem Wagen, um das Gemüse einzukaufen, mit dem er handelte. Es war durchaus möglich, daß der Verbrecher ausgekundschaftet hatte, wann Tony wegzufahren pflegte. Unbedingt mußte er ihn abends befragen, ob ihm etwas aufgefallen war.
Alec verschloß das Tor hinter sich und blickte zu dem Haus seiner Eltern auf der anderen Straßenseite hinüber. Obwohl er wußte, daß es schon spät war und er sich würde beeilen müssen, um pünktlich in der Schule zu sein, weil er ja auch noch vorher zur Polizei wollte, ging er langsam. Irgendein böser Mensch wünschte seinem Pferd den Tod. Warum nur? Aus welchem Grunde? Sicherlich, er wußte wenig von der Vergangenheit des Hengstes. Vielleicht lag, wie Henry mutmaßte, dort die Antwort. Irgendwo in Arabien...
Abu Jakub ben Isaak
Am späten Nachmittag desselben Tages hastete Alec von der Schule nach Hause. Er hatte die letzte Unterrichtsstunde geschwänzt und war überaus gespannt, von Henry zu erfahren, ob die Polizei schon etwas herausgefunden hatte. Enthielt die Injektionsspritze tatsächlich Gift? Hatte man Fingerabdrücke gefunden, und gaben diese Aufschluß über die Person des Verbrechers? Der Polizeiinspektor hatte seinem Bericht aufmerksam zugehört und sogleich einen Polizeiwagen zwecks Untersuchung zum Tatort geschickt.
Als Alec sich seinem Elternhaus näherte, sah er eine große, schwarze Limousine davor parken. Dahinter stand ein Polizeiauto. Er fing an zu rennen, denn er sah die kleine, rundliche Gestalt seiner Mutter in der Haustür stehen. „Was ist los?“ rief er. „Die Polizei ist ja noch hier.“ Seiner Mutter Stimme klang zwar ruhig, doch fiel Alec auf, daß ihr Gesicht unfroh und müde wirkte. „Die Polizisten kamen vor einer Weile zurück“, antwortete sie, „und brachten einen Herrn mit, der behauptet, Blitz sei sein Eigentum.“ Sie hielt inne und fügte dann sanft hinzu: „Am besten gehst du gleich selbst hinüber zum Stall!“
Alec wandte sich um und rannte davon. Hundert Gedanken stürmten durch sein Hirn. Dies obendrein noch nach dem, was sich in der Nacht ereignet hatte! Vielleicht war dies der Mann, der Blitz hatte töten wollen, und nachdem ihm das mißglückt war, versuchte er auf diese Weise, seiner habhaft zu werden! Alec ging langsamer, als er sich der Stalltür näherte.
Henry sprach drinnen mit einem hochgewachsenen älteren Herrn. Zwei Polizisten standen hinter ihnen. Henry war der erste, der Alecs schneeweißes Gesicht entdeckte. „Alec“, sagte er, „dies ist Herr Abu...“ Er hielt inne und sah den Fremden fragend an.
„Abu Jakub ben Isaak“, ergänzte dieser.
Von Blitz, der in seiner Box stand, glitten Alecs Augen zu dem Fremden, dessen faltige Haut die Farbe von altem Mahagoniholz hatte. Er war schlank und hochgewachsen und hatte funkelnde schwarze Augen. Sein spitzgeschnittener schwarzer Vollbart bewegte sich, wenn er sprach. Sein Haar war stahlgrau. Alec fand es schwer, sein Alter zu schätzen. Er trug einen tadellosen braunen Anzug und eine gestickte Weste.
„Herr Abu ben Isaak ist der Besitzer von Blitz, Alec“, sagte Henry gepreßt.
Alecs Kehle war wie zugeschnürt. Er schluckte krampfhaft. Dann übermannte ihn der Zorn. „Henry!“ rief er, „da kann ja jeder kommen und das behaupten! Wo ist der Beweis, daß er nicht lügt? Und dann die Geschehnisse in der vergangenen Nacht: die Injektionsspritze... die goldene Kette...“
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