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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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schob das Plumeau von sich weg. Sein Nachthemd wurde sichtbar.
    »Ein Studium ist für meine Eltern zu teuer«, erzählte Anneliese. »Mein Vater kann nicht mehr arbeiten, weil er krank ist, und meine Mutter verdient nicht genug.«
    Reni schämte sich so sehr, dass sie lachen musste. Sie ließ es bitter klingen. Es tut mir leid. Wie schade . So etwas Ähnliches hätte sie jetzt sagen müssen. Stattdessen schwieg sie, weil sie wusste, dass es Lüge wäre. Sie fühlte wieder diesen Stich in ihrem Herzen.
    Jockel schaute weiter Anneliese an. Er hörte einfach nicht mehr auf. Das war kein Stich mehr, jetzt brannte es in ihrer Brust und im Magen. Sie sprang vom Stuhl hoch, stieß ihn dabei nach hinten, dass es quietschte.
    »Entschuldigung. Verzeihung.«
    Im selben Augenblick machte der Schwerverletzte wieder diesen sonderbaren hohen Jubelruf. Ein bisschen wie ein Bussard, dachte Reni.
    Alle drei wandten sich um und blickten zu dem Vorhang, der sich leise hin und her bewegte.

Die Dame mit der federleichten Schleife
    J ockel war verwirrt. Als Reni vorhin aufgetaucht war, ausgerechnet hier im Krankenhaus, das Letzte, womit er gerechnet hatte, wäre er vor Schreck und Freude beinah an die Decke gesprungen. Doch dann war Anneliese durch die Flügeltür hereingekommen. Nun waren beide hier und er dazwischen.
Wie eine Prüfung, fand er. Beide zusammen machten ihn nervös.
    »Jockel hat erzählt, dass er nicht nach Hause will und Angst vor seinem Vater hat«, erklärte Anneliese.
    Reni sagte: »Dann muss er wirklich Seemann werden.«
    Jockel drehte seinen Kopf zur Seite. Er dachte an den Arzt, der ihm am frühen Morgen von seinen Reisen erzählt hatte.
    Es hatte sich herausgestellt, dass er nicht als Schiffsarzt unterwegs gewesen, sondern vor dem Studium einige Jahre zur See gefahren war. Mutig, mutig. Niemand hatte ihn verfolgt, er hatte niemanden umgebracht und hätte bleiben können. Er hatte selbst entschieden, sich andere Länder anzusehen.
    »Ich muss euch nun alleine lassen«, sagte Anneliese und hob den Stapel Wäsche auf. »Ein bisschen ungern.«
    Als Anneliese fort war, sagte er zu Reni: »Ich bin froh, dass ich dir vertrauen kann. Wenn ich einen Plan hätte, wie ich hier rauskomme, könnte ich ihn dir erzählen, und du würdest mich nicht verraten und mir sogar helfen, wenn du könntest.«
    »Das würde ich«, sagte Reni. Aber sie sah traurig aus.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte er. »Dass du auf dem Gut wohnst und dein Leben nicht das Geringste mit meinem zu tun hat.«
    Sie musste nicht mal dazu nicken.
    »Ich weiß, dass draußen im Hof ein Polizist steht«, sagte er nun flüsternd. »Aber im Keller gibt es eine Tür, die führt zur Straße. Kennst du dich auf eurem Gut aus?« Er holte unter seinem Kissen ein Stück blauen Stoff hervor. »Sag mir, wo ich das festmachen kann, damit du weißt, dass ich in der Nähe bin.«
    Reni überlegte. »Wir haben einen Teich. Dort hinter einer Obstwiese steht eine breite Hecke. Die kann ich vom Haus aus prima sehen.«

    »Wenn du das Tuch in der Hecke siehst, dann weißt du, dass ich da bin.«
    Er nahm ihre Hand. Jede Berührung spürte er im ganzen Körper. Es war so schön. Er biss die Zähne aufeinander. Jetzt gar nichts sagen, nur die Klappe halten und nicht heulen. Aber die Augen brannten schon.
    »Die Dame, die mich herbegleitet hat, kommt jetzt aus der Stadt zurück und holt mich ab«, sagte Reni. Ihre Stimme war ganz weich. Sie wandte sich zur Tür. Er ließ die Hand los, es tat richtig weh, er musste tüchtig husten, um sich abzulenken. Sein Kopf war noch voller Dinge, die er Reni gerne erzählt hätte. Die Eltern beispielsweise. Noch immer war ihm wichtig, dass die Mutter wusste, wo er steckte und dass ihr Sohn kein Mörder war. Aber der Vater war im Weg. Jockel hatte große Lust, sich gegen ihn zu wehren. Ihn am Hals zu packen und gegen den Schrank zu schlagen, bis dem Alten angst und bange würde. Das wäre nur gerecht. Ihm heimzahlen, was er den Söhnen zugemutet hatte. Doch Eltern sind auf eine sonderbare Weise unantastbar, beinah heilig, jeder fühlte das. Und dennoch spürte er die Wut.
    Absätze klopften auf das Dielenholz des Saals, viele Kranke drehten überrascht die Köpfe.
    »Das ist Lydia von Treschke«, sagte Reni.
    Die Dame trug einen hellen Sommermantel, dessen Stoff im Licht der Fenster golden schimmerte. In ihrem blonden Haar trug sie eine kleine schwarze Kappe, die im Grunde eine komplizierte Schleife aus Spitzenbändern war, durch die zwei

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