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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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notdürftig als »Baustelle« abgesichert.
    Schließlich standen wir vor der Burgruine. Einen der Türme hatte man vor Kurzem wieder so hochgezogen, dass man ihn als Turm erkennen konnte. Der Arm eines Krans lugte oben heraus. Am Ende des Arms hing eine Kette herab. Daran baumelte etwas Rundes.
    Der Kopf schwankte leicht im Wind. Der Kloß in meinem Hals wurde dicker.
    »Die Archäologen waren seit einigen Tagen nicht mehr hier oben. Die Zäune, die sie hier aufgestellt haben, haben etwaige Besucher abgeschreckt. Ganz abgesehen vom Wetter. Hat ja nur geregnet die letzten Tage. Niemand hat sich hier hoch verirrt.«
    Norbert redete sich das Grauen von der Seele. Ich ließ ihn reden und hoffte, dass mir später auch jemand zuhören würde.
    Eine Frau kam uns entgegen. Vierzig Jahre alt, die roten Haare nach hinten geknotet. Lachfalten im Gesicht. Aber heute lachte sie nicht.
    Sie blieb vor uns stehen, als sie uns erreicht hatte.
    »Maren, das ist Moritz, ein Schulfreund von mir. Außerdem glaubt er, den Toten zu kennen. Moritz, das ist Dr. Maren von Greiffenberg, Ärztin vor Ort.«
    Sie trug hohe, verschmierte Gummistiefel von Bogner und eine helle Barbour-Jacke, so als käme sie von einem Moorspaziergang. Sie reichte mir die Hand, während sie gleichzeitig eine Braue hochzog. »Woher wissen Sie das? Ich meine, dass wir überhaupt hier sind?«
    »Er hat es aus dem Radio erfahren«, antwortete Norbert an meiner Stelle.
    »Na, dann viel Vergnügen«, sagte die Ärztin mit rauchiger Stimme. »Macht euch auf so einiges gefasst. Hier wird es bald vor Neugierigen wimmeln. Im letzten Jahr ist jemand vom Hermannsdenkmal gesprungen. Bevor Ihre Kollegen überhaupt vor Ort waren, hat es sich in ganz Holzhausen herumgesprochen wie ein Lauffeuer. Jemand wollte den Toten reanimieren. Ein anderer den Tathergang rekonstruieren. Dabei ist er ebenfalls in die Tiefe gestürzt. Ist glücklicherweise mit dem Leben davongekommen, bis auf ein paar Knochenbrüche ...«
    »Was haben Sie denn hier festgestellt?«, mischte ich mich ein. Sie taxierte mich. Offensichtlich konnte sie mich noch nicht ganz klar einordnen. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Norbert. Erst als dieser nickte, antwortete sie: »Da ist nicht viel festzustellen. Eigentlich bin ich hier überflüssig. Die
    Todesfeststellungsbescheinigung, verzeihen Sie dieses sperrige Wortmonstrum, aber es heißt wirklich so, ist ebenso überflüssig: Dort hängt nur der Kopf, und dass der Besitzer des Kopfes nicht mehr lebt, ist doch offensichtlich. Außerdem darf ich die Todesfeststellungsbescheinigung erst ausstellen, wenn auch der zugehörige Körper gefunden worden ist. So sind nun mal die Bestimmungen.«
    »Wir werden trotzdem weiter ermitteln«, sagte Norbert. »Im Normalfall sind uns – ohne diese vermaledeite Bescheinigung – die Hände gebunden. Da in diesem Fall jedoch eindeutig ein Verbrechen vorliegt, sieht es damit natürlich anders aus.«
    »Vielleicht musst du ja gar nicht ermitteln«, erwiderte Dr. von Greiffenberg, und Norberts Grinsen erstarb augenblicklich.
    Abermals hatte ich das Gefühl, dass hier etwas im Busch war. Etwas, das die Leute hier beunruhigte und sie herumtänzeln ließ wie übernervöse Rennpferde.
    »Tschüss. Und viel Spaß noch«, verabschiedete sich die Ärztin. Norbert und ich sahen ihr nach.
    »Ich hoffe, du hast kein Auge auf sie geworfen«, warnte mich Norbert. »Das habe ich schon.«
    Mir war nicht zum Flachsen zumute. Also schwieg ich. Norbert hob die linke Hand und machte ein Zeichen. Ein Polizist in der Nähe des Krans gab es weiter, und augenblicklich setzte sich der Schwenkarm langsam in Bewegung. Der Kopf kam auf uns zu. Wie in Zeitlupe. Sodass ich eigentlich Zeit hatte, mich an den Anblick zu gewöhnen. Aber so war es nicht. Mit jedem Meter, den er näher kam, nahm ich weitere grausige Einzelheiten daran wahr.
    Zwei Gedanken gingen mir durch den Schädel:
    Manchmal ist die Wirklichkeit doch schlimmer, als die fürchterlichsten Albträume es sein können. Und ich verstehe eine ganze Menge von Albträumen.
    Und: Norbert hatte recht gehabt. Anhand des Kopfes würde niemand Ludwig identifizieren können.

2.
    Eigentlich war es noch nicht einmal mehr ein ganzer Kopf.
    Dort, wo eigentlich die Augen hätten sein sollen, klafften fausttiefe Löcher. Sie waren braunrot umrandet mit zerrupftem Fleisch. Aus der linken Höhlung baumelte etwas heraus, das aussah wie ein Nervenstrang. Obwohl mein Instinkt mir sagte, dass es besser wäre, sich

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