Blutbahn - Palzkis sechster Fall
meine Kollegen wollte ich auch nicht danach fragen.
»Ist von euch jemand so nett, mich
heimzufahren? Vermutlich lasst ihr mich im Moment kein Auto fahren, oder?«
»Worauf du Gift nehmen kannst«,
antwortete Gerhard. »Ich habe deiner Frau versprochen, dass ich dich höchstpersönlich
daheim abliefern werde. Sie meinte, dass sie dir etwas Gutes kochen würde.«
Das verschmitzte Lächeln meines
Kollegen konnte mich in meiner Verfassung nicht wirklich auf die Palme bringen.
Ich ließ es zu, dass Gerhard mich
regelrecht zu seinem Wagen führte und sich fürsorglich darum kümmerte, dass ich
bequem saß und richtig angeschnallt war. Frau Ackermann stand nicht drohend vor
ihrem Haus, keine Kondome hingen an den Büschen, es war einfach friedlich, als wir
zuhause ankamen. Stefanie empfing mich mit sorgenfaltigem Gesicht, während Gerhard
sich verabschiedete.
»Lass deinen Mann morgen ruhig daheim,
wir packen das auch mal einen Tag ohne ihn.«
»Spinnst du«, antwortete ich barsch.
»Selbstverständlich sehen wir uns morgen früh auf der Arbeit. Morgen werde ich den
Teufel austreiben. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber heute ist er einen Schritt
zu weit gegangen.«
Stefanie nickte Gerhard heimlich
und viel wissend zu, was ich aber trotzdem mitbekam. Jetzt verschwor sich meine
Gattin sogar mit meinem Kollegen. Egal, ich war erstmal zuhause.
Stefanie geleitete mich zunächst
ins Bad. Gottseidank sah mich dabei keines unserer Kinder.
»Wer hat dir dieses unhygienische
Dreckzeug auf deinen Kopf gebunden?«, fragte sie mich, während sie die Binden abnahm.
»Es war nichts anderes da, es musste
schnell gehen wegen des Blutverlustes.«
Dass es Metzger war, verschwieg
ich. Ich musste Rücksicht auf die fortgeschrittene Schwangerschaft meiner Frau nehmen.
»Da ist ein schönes Stück Haut aufgeplatzt.
Warum hat der Arzt das nicht genäht?«
»Ach, weißt du, auf dem Kopf wächst
das von alleine zusammen. Wenn man das nähen würde, gäbe es nur eine hässliche Narbe
und an der Stelle wachsen dann keine Haare mehr.«
Mein Einfallsreichtum schien unter
dem Schlag nicht gelitten zu haben.
»So, jetzt putzt du dir mal anständig
die Zähne, du riechst nämlich etwas streng. Hast du heimlich Süßigkeiten gegessen?«
Selbstverständlich widersprach ich
mit energischer Stimme, befolgte aber ihre Anweisung.
Stefanie meinte es wirklich gut
mit mir. Anders konnte ich den Berg Rosenkohl auf meinem Teller nicht deuten. Daneben
stand eine Flasche Pils. Rosenkohl gehörte zu den schrecklichsten Nahrungsmitteln,
die es gab. Alleine schon der Geruch oder der Gedanke daran ließ heftige Übelkeit
in mir aufsteigen. Wahrscheinlich handelte es sich um nicht verarbeitete Kindheitserlebnisse,
die zum Vorschein kamen.
»Jetzt iss mal in Ruhe, Reiner«,
forderte mich Stefanie auf, während ich mir das Pils einschenkte.
»Rosenkohl ist gut gegen Gehirnerschütterung.
Das habe ich erst vor ein paar Tagen in der Zeitschrift ›Gute Ernährung für die
ganze Familie‹ gelesen. Außerdem ist er mit Vitaminen und Spurenelementen geradezu
vollgesogen.«
»Mir ist schlecht«, murmelte ich
krächzend wie jemand, der kurz vor dem Exitus stand.
»Reiner? Alles in Ordnung?« Sie
klang besorgt.
»Ich kann jetzt nichts essen, Stefanie.«
Meine Stimme klang hohl und ausgetrocknet. Ich hoffte, die Stimmlage lange genug
simulieren zu können. Ich griff nach dem Glas Pils.
Stefanie war schneller und entriss
es mir.
»Bist du noch ganz bei Trost? Wenn
dir schlecht ist, kannst du doch kein Bier trinken. Leg dich ins Bett, ich bringe
dir einen Kamillentee.«
Kamillentee? Mein Sieg über den
Rosenkohl war höchstens ein Remis. Dem Rosenkohltod entronnen musste ich unter Stefanies
Aufsicht zwei Magnumtassen Kamillentee zu mir nehmen. Es war leider unmöglich, kurz
in meinem Arbeitszimmer zu verschwinden, um ein oder zwei Powerriegel zu mir zu
nehmen. Ohne Sodbrennen, hungrig und todmüde schlief ich wenig später ein.
15
Das erste Geheimnis wird gelöst
Stefanie hatte es ernst gemeint und keinen Wecker gestellt. Doch unseren
Sohn Paul hatte sie vergessen. Kurz nach sieben Uhr kam er wie gewöhnlich als Torpedo
zu uns ins Bett geflogen. Er schimpfte wie jeden Morgen, weil sein Brüderchen immer
noch nicht da war. Dabei habe er längst die Lego-Eisenbahn aufgebaut, meinte er
vorwurfsvoll. Von der Hochschreckanspannung der ersten Sekunden abgesehen, ging
es mir passabel. Mein Kopf fühlte sich normal an und auch dem Rest des Körpers schien
es
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