Bluternte: Thriller
getan. Tom trat sofort zurück, denn er wollte diesem grauenhaften Klumpen da an ihrem Hals wirklich nicht zu nahe kommen. Noch ehe er nachdenken konnte, war sie auf den Teppich hinuntergesprungen und sauste durchs Zimmer.
Er schrie auf und rannte ihr nach, doch sie blieb an der Tür stehen und machte sie zu. Jetzt war sie zwischen ihm und den Erwachsenen, doch er konnte immer noch schreien und sie packen.
Oder?
»Tommy«, sagte sie. »Bitte komm.«
Das Fenster war offen, und die Kälte von draußen strömte ins Zimmer. Doch Tom wusste, dass es nicht die Kälte war, die ihn zittern ließ. Kälte erwischt einen nicht so, nicht ganz tief im Innern. Normale Wind- und Regenkälte lässt nicht den allergeheimsten Teil von einem zu Eis gefrieren.
Dazu bedurfte es der Stimme seines Bruders. Joes Stimme, die aus dem Mund dieses Mädchens kam wie eine Botschaft, wie ein Ruf von einem Ort, wo er nicht hinkonnte, wie ein …
»Tommy, bitte komm.«
… wie ein Hilfeschrei.
»Was ich nicht verstehe, wenn Sie recht haben«, sagte Gareth, »ist, warum sie von Mädchen auf Joe umgeschwenkt ist. Das passt doch nicht in ihr Muster.«
»Das stimmt«, pflichtete Evi ihm bei. »Und ich glaube, Joe hat sie eigentlich nie wirklich interessiert. Sie war hinter Millie her. Ich glaube, sie hat Millie damals im September von der Feier weggeholt und sie auf die Empore gebracht, und es war einfach nur Glück, dass Harry und die Jungen noch rechtzeitig gekommen sind.« Sie wandte sich an Harry. »Aber weißt du noch, sie war doch da? Als du mit den Kindern aus der Kirche gekommen bist, da hat sie auf euch gewartet.«
Harry nickte. »Sie hat Millie nach Hause getragen. Wir waren alle total durch den Wind. Du meinst, sie hat gewartet, um zu sehen …«
»Ich glaube, sie hat gemerkt, dass jemand kommt, und ist weggelaufen«, sagte Evi. »Nur nicht sehr weit. Es bestand ja immer noch die Chance, dass es klappt, dass du Millie nicht mehr rechtzeitig zu fassen bekommst. Dann hat sie noch einmal versucht, sie sich zu schnappen, glaube ich, im November, als Tom und Joe sie aufgehalten haben. Seitdem hat sie abgewartet, denke ich. Bis gestern.«
»Was ist denn gestern passiert?«, wollte Alice wissen.
Evi konnte Harrys Blick spüren. »Gillian ist ernsthaft in Harry verschossen«, erklärte sie. »Und gestern –«
»Sie hat gesehen, wie ich Evi geküsst habe«, fiel Harry ihr ins Wort.
Alice sah erst ihren Mann und dann wieder Evi an. »Aber was hat denn das alles mit –«, begann sie.
»Harry und ich haben keine Kinder.« Evi zwang sich, Alice in die Augen zu sehen. »Gillian weiß allerdings, dass wir Ihre drei sehr gern haben. Es tut mir wirklich schrecklich leid, aber ich glaube, bei Joes Entführung geht es darum, uns zu bestrafen.«
»Sie und ich hatten vorhin Streit«, berichtete Harry. »Ich war wirklich nicht in der richtigen Stimmung, um Geduld zu haben, fürchte ich. Sie hat’s nicht gut aufgenommen. O Scheiße.« Er ließ den Kopf in die Hände sinken.
»Wenn Dr. Oliver recht hat, dann hat Gillian Joe kilometerweit von hier entfernt gekidnappt, damit wir die Entführung nicht mit dem in Verbindung bringen können, was mit den kleinen Mädchen passiert ist«, meinte Rushton. »Joe kennt Gillian. Wenn sie ihm erzählt, seine Mutter hätte sie geschickt, dann ist es durchaus möglich, dass er ihr glauben würde.« Wieder sah er auf die Uhr. »Wieso braucht Jove denn so lange?«, knurrte er. In diesem Augenblick klingelte sein Handy. Er entschuldigte sich und verließ die Küche.
Schweigen senkte sich über den Raum. Alle lauschten angespannt, um etwas von Rushtons Unterredung mitzubekommen. Lange mussten sie nicht warten. Nach noch nicht einmal drei Minuten hörten sie seine Schritte über den Flur kommen. Die Tür ging auf. Rushtons fahle Haut schien noch blasser geworden zu sein.
»Nicht gerade gute Nachrichten«, verkündete er, ohne in die Küche zu treten. »Jove und seine Jungs haben in Gillians Wohnung etwas vorgefunden, was sie erst mal für den Schauplatz eines Verbrechens gehalten haben. Überall Blut. Wie sich herausgestellt hat, hat sie heute Abend versucht, sich das Leben zu nehmen.«
Evi erhob sich halb, hatte jedoch nicht die Kraft, ganz aufzustehen. Sie sank wieder auf ihren Stuhl. Neben ihr saß Harry plötzlich völlig regungslos da.
Rushton schüttelte den Kopf, als versuche er, wach zu werden. »Ihre Mutter hat sie gefunden und einen Krankenwagen gerufen«, berichtete er. »Sie liegt im Burnley
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