Blutportale
und Will jedenfalls spürten nichts.
Eingemietet hatten sie sich im Oakwood Arms Hotel in der Nähe des Flughafens; von dort fuhren sie mit einem Mietwagen nach Limerick. Justine erreichte auf der Fahrt eine neue Stufe des Fluchens, da der Linksverkehr sie auf eine harte Probe stellte. Trotzdem konnte sie sich kaum halten vor Lachen, als sie an einem Pub vorbeikamen, der Furzebusch hieß. Nach zwei Beinaheunfällen und einem verlorenen Außenspiegel hatten sie es geschafft. Saskia ging gerade aus dem modernen, verglasten Touristenzentrum von King John's Castle in den Ausstellungsraum, in dem verschiedene Musikinstrumente des Spätmittelalters präsentiert wurden. Neben Flöten und Lauten waren auch zahlreiche Harfen zu bewundern.
Im Katalog stand zu ihrer speziellen Harfe zu lesen, dass sich die Experten bis heute nicht einig darüber seien, wie alt sie genau war. Tatsächlich hatten bislang alle Untersuchungen zu verschiedenen Ergebnissen geführt. Die Hölzer stammten aus unterschiedlichen Zeiten. Hinzu kam, dass sich die Motive auf dem Korpus nirgends sonst in Irland oder in Großbritannien finden ließen. Eine sehr spezielle Forschermeinung vertrat daher die Ansicht, dass es sich bei der Harfe um das Vermächtnis einer eigenen Kultur innerhalb der keltischen Welt handelte, die abgeschottet vom Rest der Welt existiert hatte. Der Katalog zitierte zahlreiche Legenden um die Harfe. Es hieß, dass bestimmte auf ihr gespielte Lieder die Zuhörer in ekstatische Zustände versetzen konnten. Laut einer anderen Quelle handelte es sich bei einer Saite um das Haar einer Banshee, einer irischen Todesfee; schlug der Harfenspieler sie an, ganz egal, ob vorsätzlich oder durch Zufall, setzte er eine tödliche Macht frei.
Dicht an der Wahrheit, dachte Saskia und ging auf den mannsgroßen Glaskasten zu, in dem die Harfe stand. Gingen die Banshee-Geschichten vielleicht alle auf den einen Dämon zurück, von dem dieses Haar stammte - oder waren die Todesfeen entfernte Cousinen der Wandelwesen, wie Justine eins war? Sie musste bei ihren Überlegungen leise lachen: Vor zwei Wochen hätte sie nicht im Traum an die Existenz von übersinnlichen Kreaturen geglaubt; heute ließ sie sich von einer von ihnen in einem Leihwagen durch die Gegend fahren. Und auch, wenn es ihr manchmal immer noch schwerfiel, das zu glauben, was sie eigentlich schon wusste: Es brachte nichts, sich dagegen zu wehren.
Sie umrundete die große Vitrine. In ihrem Innern verliefen zahlreiche Kabel, die Harfe war gut abgesichert, was bei ihrem Wert auch kein Wunder war. Danach studierte Saskia eingehend die Bespannung des Instruments. Will hatte gesagt, dass das Haar des Dämons in seiner Vision schwarz gewesen sei -dummerweise gab es sieben Saiten, die dafür in Frage kamen. Durch das Glas hindurch und auf diese Entfernung erkannte Saskia keinen Unterschied. »Kann ich Ihnen helfen?«, wurde sie auf Englisch angesprochen, und sie schrak zusammen, als sie das gespiegelte Gesicht eines Mannes neben sich im Vitrinenglas sah. Sie hatte ihn nicht kommen hören. »Mir scheint es, als hätten Sie besonderes Interesse an der Harfe.«
Saskia drehte sich zu dem Mann um, der dunkle Hosen, ein weißes Hemd mit einem schwarzen Schlips und ein schwarzblaues Sakko trug. Auf Brusthöhe prangte ein Schildchen, das ihn als Mr. Smyle und Personal des Museums auswies. Bemerkenswert fand sie seine langen, dunkelroten Haare, die er zu einem Zopf zusammengefasst hatte. Das glattrasierte Gesicht war männlich-markant, die hellgrünen Augen betrachteten sie intensiv. Er war ein irisches Klischee mit einem unirischen Akzent in seinem Englisch.
»Es ist wirklich ein besonderes Stück«, sagte sie. »Was haben die unterschiedlichen Farben der Saiten zu bedeuten?«
Er trat neben sie, dichter, als ihr eigentlich lieb war. Saskia hatte das Gefühl, dass er absichtlich auf Tuchfühlung ging; offensichtlich war es doch nicht ihre Ausstrahlung, die einen negativen Einfluss auf die Menschen in ihrer Umgebung hatte.
»Eine Legende besagt, dass man die schwarzen Saiten nur bei traurigen Anlässen zupfen soll, sonst bringt es Unglück«, erklärte er mit einer sehr eindringlichen, sanften Stimme, die ohne weiteres einem Radiomoderator gehören könnte. Oder einem Hypnotiseur.
»Die Sache mit der Banshee«, erwiderte Saskia.
Smyle lächelte. »Sie haben den Katalog schon gelesen! Das freut mich. Viele Besucher nehmen sich nicht die Zeit, dabei habe ich mir so viel Mühe gegeben, ihn zu
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