Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
ehe er »Giles?« sagte.
Dann warf er einen Blick nach hinten zu den Kindern und stieg aus. Genie sah, wie er sich an die Stirn fasste. Er wirkte wirklich völlig außer sich.
Schließlich klemmte er sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und zückte eilig ein kleines Notizbuch und einen Stift, um sich etwas zu notieren. Er las noch einmal durch, was er aufgeschrieben hatte, legte auf, lehnte sich gegen den Geländewagen und stützte den Kopf in die Hände. »Bleibt sitzen, Jungs«, sagte Genie und löste ihren Sicherheitsgurt. Sie zog die Tür auf und verließ den Wagen, als gerade ein anderes Auto neben dem Geländewagen anhielt.
Eine Frau drehte das Fenster herunter. »Ist alles in Ordnung? Soll ich für Sie die Polizei verständigen?«
»Oh, es ist alles bestens, danke«, sagte Dad und blickte auf. »Ich habe mich nur etwas zu sehr darüber geärgert, dass ich mich verfahren habe.«
Die Frau lächelte verständnisvoll. »Soll ich Ihnen den Weg erklären?«
Er hielt Telefon und Notizbuch in die Höhe. »Den hab ich mir gerade von meiner Cousine erklären lassen. Danke. Sehr nett, dass Sie Ihre Hilfe angeboten haben.«
Die Frau sagte »Keine Ursache« und fuhr weiter.
Genie legte die Arme um ihn. »Es tut mir leid, Dad. Ich wollte nicht, dass du dich so aufregst. Ich weiß, dass du wütend auf mich bist …«
Er erwiderte ihre Umarmung. »Schon in Ordnung. Es wird alles gut. Ich bin nicht wütend. Tut mir leid, dass ich geschrien habe. Steigen wir lieber wieder ein, ehe der nächste gute Samariter anhält, um uns zu helfen.«
Sie stiegen wieder ein, und er entschuldigte sich bei den Jungen, die zu weinen aufhörten. Er forderte sie auf, ein Lied zu singen, und sie entschieden sich für »Bingo«.
Er startete den Wagen, stellte das GPS an und gab eine Adresse ein. Dann wendete er und fuhr in nördlicher Richtung auf den Freeway. Genie sah aus dem Fenster und hörte den Jungen beim Singen und Klatschen zu. Ihre Stimmen waren süß und hoch.
Irgendetwas stimmte nicht mit Dad. Wen hatte er angerufen? Was wollte er abblasen? Er würde es ihr nie sagen. Wenn sich die Gelegenheit bot, würde sie ein bisschen schnüffeln müssen.
Sie betrachtete die Landschaft, ohne sie wirklich zu sehen, während sie sich unablässig lautlos vorsagte: »Sei in Sicherheit, Carrie. Sei in Sicherheit.«
43. KAPITEL
DIENSTAG, 2. MAI, 10:20 UHR HUNTINGTON BEACH
Sobald ich anhielt, wusste ich, dass das Blake Ives’ verschwundene Tochter war. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich lediglich darauf konzentriert, die Kreuzung Playa Azul und Vista del Mar zu finden. Nun, da ich sie sah, wurde mir klar, dass ich ein verängstigtes Kind vor mir hatte, das vermutlich restlos durcheinander war. Auch ich dachte nicht völlig klar. Was nun?
Als sie mir erlaubte, mich in ihre Nähe zu stellen, hielt ich es für das Klügste, mir ihre Geschichte aus ihrer eigenen Perspektive schildern zu lassen.
Sie erzählte mir von ihrer Familie. Ich begriff schnell, dass sie sich geliebt fühlte, dass sie an ihrer Mutter und dem Mann, den sie Dad nannte, hing und dass sie intelligent war und sich gut ausdrücken konnte. Sie wirkte nicht unterernährt. Ihre Kleidung war sauber und von guter Qualität. Ich sah weder blaue Flecken noch irgendwelche anderen Anzeichen von körperlicher Misshandlung.
Doch ihre Geschichte war auch eine Geschichte der Isolation. Sie wurde zu Hause unterrichtet, und die einzigen anderen Kinder, die sie kannte, gehörten zu ihrer Familie.
»Es ist eine große Familie«, sagte sie, »aber ich sehe meine Cousins eigentlich nur ein paarmal im Jahr. Die einzigen Menschen, die ich oft sehe, sind Onkel Giles, Onkel Dexter …« Ich wusste nicht, was die Pause hinter seinem Namen zu bedeuten hatte, außer dass irgendetwas im Zusammenhang mit ihm ihr zu schaffen machte. Doch ihre nächste Äußerung ließ mir wirklich die Haare zu Berge stehen.
»… und natürlich Großvater Fletcher.«
»Fletcher?« Ich riet wild drauflos. »Graydon Fletcher?«
»Ja, genau, kennen Sie ihn?«
»Ich habe von ihm gehört«, erwiderte ich. »Kennengelernt habe ich ihn noch nicht, aber ich hoffe, dass ich bald Gelegenheit dazu haben werde.«
»Er ist der beste Großvater der Welt. Ich meine, ich kenne nicht viele andere Großväter, aber er ist immer total nett zu uns. Der Rest meiner Familie ist heute bei ihm. Alle außer meiner Mom.«
»Und dir.«
»Ja. Ich hätte eigentlich auch mitkommen sollen, aber ich wollte mit Ihnen reden,
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