Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
nach, als sie aus der Garage schoss und schnell die Straße hinabfuhr.
44. KAPITEL
DIENSTAG, 2. MAI, 10:36 UHR HUNTINGTON BEACH
Mit wenigen Schritten hatte ich sie eingeholt und packte sie am Arm.
»Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich los!«, kreischte sie und versuchte mit aller Kraft, mich abzuschütteln.
»Carrie, warte! Wenn jemand in euer Haus eingebrochen ist, könnte es gefährlich werden, wenn du dorthin zurückgehst!«
»Meine Mom ist aber im Haus! Vielleicht tut er ihr etwas!«
»Du hilfst ihr nicht, wenn du auch verletzt wirst«, entgegnete ich.
Sie ließ ein bisschen locker.
»Ich habe ein Handy«, sagte ich. »Soll ich …«
Noch ehe ich den Satz beenden konnte, brach der Alarm abrupt ab. Carrie sah zu mir auf.
»Vielleicht hat ihn meine Mom aus Versehen ausgelöst«, sagte sie. »Rufen Sie nicht die Polizei.«
»Mach ich nicht, wenn du es nicht willst. Hab ich dir wehgetan?«
Sie schüttelte den Kopf, und ihr Gesicht verzerrte sich vor Sorge, als sie zu ihrem Haus schaute. »Wenn meine Mom rauskommt und sieht, dass ich mit Ihnen rede, kriege ich jede Menge Ärger.«
»Ich kenne deine Mom. Ich könnte bestimmt über die ganze Sache mit ihr reden«, erklärte ich in der Hoffnung, dass das keine dicke Lüge war.
»Stimmt es, dass sie früher mal Zeitungsreporterin war?«
»Ja. Wir haben zusammen beim Express gearbeitet.«
»Das kommt mir … ganz unmöglich vor. Ich meine, dass sie Reporterin gewesen ist. Aber sie ist eine gute Lehrerin. Ich könnte sie mir als Lehrerin in einer Schule vorstellen.«
»Du hast vorhin ein paar Dinge erwähnt, die mich näher interessieren würden, zum Beispiel jemanden namens Mason.«
»Ich habe Ihnen doch erzählt, dass meine Geschwister adoptiert sind, oder?«
»Ja. Genie ist neun, stimmt das?«
»Ja.«
Jenny Fletcher wäre neun, wenn sie noch leben würde. Konnte es sich um dasselbe Mädchen handeln? Ich begriff, dass ich Jenny im tiefsten Innern für tot gehalten hatte. Vielleicht war das die Folge davon, dass ich mich intensiv mit Kindesentführungen beschäftigt hatte. Oder dass ich von den gewaltsamen Umständen gelesen hatte, unter denen sie verschwunden war. Ganz unabhängig von Calebs Glauben an seinen Bruder war es mir nicht wahrscheinlich erschienen, dass seine Schwester noch lebte.
Bis jetzt. Was zum Teufel war hier los? Im Stillen ermahnte ich mich, mir vorschnelle Schlüsse zu verkneifen, obwohl ich spürte, wie meine Hoffnung wuchs. »Könnte Mason ein wesentlich älterer Bruder sein?«
Sie zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Schon möglich. Ich weiß nur, dass meine Schwester Genie Andenkungen an jemanden hat, der so heißt.«
»Andenkungen?«
Sie errötete. »Ich weiß, dass das kein richtiges Wort ist. Aber ich habe kein richtiges Wort gefunden, das gepasst hätte. Wissen Sie, was ich meine?«
»Mann, und wie.«
»Sie haben auch schon Wörter erfunden?«
Langsam entspannte sie sich ein bisschen und machte nicht mehr den Eindruck, als würde sie jeden Moment davonstürmen. »In der Zeitung kann ich sie nicht benutzen«, sagte ich, »aber manchmal kommt mir ein erfundenes Wort besser vor als zwei oder drei richtige.«
»Sagen Sie mal eines.«
Ein Ausdruck, den Lydia und ich für den Verleger des Express ersonnen hatten, kam mir in den Sinn. »Peinscheulich. Das ist, wenn etwas oder jemand zugleich peinlich und abscheulich ist.«
Sie lächelte. »Das ist gut, wenn Sie peinlich in sarkastischem Sinn meinen.«
»Äh, ja. Aber jetzt erzähl mal von deinen Andenkungen.«
»Es sind keine richtigen Erinnerungen. Es sind nur … kleine Erinnerungsfitzel. Gefühle. Eindrücke. Manchmal … glaube ich, in meinen geht es um meinen … um den Mann, über den Sie geschrieben haben.«
»Blake Ives? Inwiefern?«
»Er hat mir immer ein Lied vorgesungen, wenn ich Angst hatte.« Sie summte ein paar Töne einer bekannten Melodie.
Ich sang eine Zeile des Texts dazu: »Raindrops Keep Fallin’ on My Head«.
»Ja! Genau das ist es!« Sie runzelte die Stirn. »Stand das in dem Artikel?«
»Nein, das hat nicht in der Zeitung gestanden. Aber er hat mir erzählt, dass er es dir immer vorgesungen hat, wenn du Angst vor einem Gewitter gehabt hast.«
Sie seufzte erleichtert auf. »Manchmal hab ich schon gedacht, ich wäre verrückt.«
»Willst du ihn treffen?«
»Ich glaube schon …«
»Soll ich dich nach Hause begleiten und mit deiner Mom darüber reden?« Es gab eine ganze Menge Dinge, über die ich mit Bonnie Creci reden
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