Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
wollte.
Sie überlegte. »Man kann es ja mal versuchen«, sagte sie schließlich.
Allerdings rührte sie sich nicht vom Fleck, und wir standen ein gutes Stück von ihrem Haus entfernt.
Sie zog die Brauen zusammen. »Vielleicht könnte ich stattdessen … Haben Sie seine Telefonnummer?«
»Ja«, antwortete ich.
Wir hörten einen Automotor. Kurz darauf ging das Garagentor in die Höhe.
»Moment mal«, sagte sie. »Das war doch offen, als ich aus dem Haus gegangen bin.«
Ein schwarzer BMW kam schnell rückwärts herausgesto ßen und fuhr sofort in entgegengesetzter Richtung zu uns die Straße hinab. Die Scheiben waren getönt, und so konnte ich deswegen und aufgrund des Sonnenstands nicht erkennen, wer am Steuer saß. Auch waren wir zu weit weg, um das Nummernschild lesen zu können.
»Kennst du jemanden, der einen solchen Wagen fährt?«, fragte ich.
»Onkel Dexter«, sagte sie ruhig.
»Könnte er den Alarm ausgelöst haben?«
Sie nickte. Tränen liefen ihr über die Wangen.
Das Garagentor schloss sich wieder. Die Tränen rannen schneller.
»Carrie?«
»Ich hasse sie. Ich hasse sie!«, stieß sie hervor und lief erneut auf das Haus zu.
Ich folgte ihr, diesmal jedoch ohne zu versuchen, sie einzuholen. Sie rannte den Gartenweg hinauf und ins Haus. Ich wusste nicht genau, was los war oder was ich tun konnte, geschweige denn, was für juristische Fußangeln damit verbunden wären. Durfte ich eine Minderjährige in Eigenregie dem sorgeberechtigten Elternteil zurückbringen? Sollte ich das Sheriffbüro von Orange County oder das Jugendamt verständigen und die Behörden die Sache regeln lassen? Oder Blake Ives anrufen? Vielleicht wusste Frank ja, was zu tun war.
Ganz egal, was sonst passierte, ich wollte auf keinen Fall Carla Ives aus den Augen verlieren. Blake Ives wäre so glücklich und erleichtert, wenn er erführe, dass sie lebte und gesund war, aber er würde mir nie verzeihen, wenn sie erneut verschwand.
Außerdem wollte ich nicht, dass sie Bonnie allein gegen übertreten musste.
Ich ging schneller, rannte den Gartenweg entlang und stieß die nur angelehnte Tür auf.
In der Diele blieb ich stehen und ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Auf dem beigen Marmorfußboden war Blut, und als ich die Treppe hinaufblickte, sah ich Blut, Fetzen von Kopfhaut und Haare an Wand und Geländer kleben. Irgendjemand hatte den harten Weg nach unten genommen. Wer? Und wo war er oder sie jetzt?
Zu meiner Linken hörte ich einen verzagten Klagelaut.
»Carrie?«
Als ich mich umwandte, sah ich, dass ein Mann sie fest im Griff hatte und ihr eine Pistole an die Unterseite des Kinns hielt.
»Schließen Sie die Tür ab!«, herrschte er mich an.
Ich tat wie geheißen.
»Lassen Sie Ihre Tasche fallen und stoßen Sie sie weg!«
Ich gehorchte erneut und bemühte mich, an den Blutflecken vorbeizuzielen. Dabei flehte ich innerlich darum, dass nicht Carries und mein Blut noch dazukam.
»Gut.« Er holte scharf Atem. »Sie haben die Wahl, Ms. Kelly. Sie können in dem Wissen sterben, dass Sie schuld daran sind, wenn Blake Ives seine Tochter in einem Leichensack zurückbekommt, oder Sie können tun, was ich sage.«
45. KAPITEL
DIENSTAG, 2. MAI, 12:06 UHR ANTELOPE VALLEY
Ein bewaffneter Mann bekommt manchmal seinen Willen. Als wir auf den San Diego Freeway einbogen, sagte ich, dass ich das für keine gute Idee hielt und man mich vermissen werde.
»Maul halten und weiterfahren«, sagte er.
Er hatte eine Pistole und ich nicht, also ersparte ich mir weitere Kommentare darüber, was für einen Riesenfehler er machte. Ich hielt mich am Lenkrad fest und rang um einen klaren Kopf, doch die Überlebensstrategien fielen mir nicht so zügig ein, wie es vielleicht der Fall gewesen wäre, wenn ich ein bisschen mehr Zeit gehabt hätte, darüber nachzudenken.
Der Mann mit der Waffe hatte es enorm eilig.
Er saß nicht in meiner Reichweite – selbst wenn ich also die Nerven dazu gehabt hätte, es zu versuchen, hätte ich ihm die Waffe nicht abnehmen können. Er saß hinten in dem Van, den ich fuhr. Der Van war eine Art Arbeitsfahrzeug, obwohl er aussah, als würde man in ihm sowohl Passagiere als auch Nutzlasten befördern. Die mittlere Sitzreihe war ausgebaut worden, doch ganz hinten gab es noch eine Sitzbank. Und dort saß er.
Ich warf im Rückspiegel einen Blick auf ihn.
Er war weder groß noch jung, doch das spielte keine Rolle. Weitaus wichtiger und ziemlich ungünstig für meine Zukunftsaussichten waren
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