Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
mit der er sich am Morgen auf die Reise nach Hamburg gemacht hatte, war verflogen.
Erst eine halbe Stunde bevor der Zug Frankfurt erreichte, regte sich sein Handy mit einem Summen in seiner Hosentasche. Endlich! Zwar nur eine SMS , aber immerhin. Beim Lesen der Nachricht musste er unwillkürlich lächeln und als er aufblickte, begegnete ihm der Blick der Dunkelhaarigen. Sie hob kurz die Augenbrauen, wandte den Kopf ab und schaute demonstrativ aus dem Fenster. Die war er los.
*
Die Scheinwerfer erloschen, die Kameraleute fuhren ihre Kameras zurück, setzten die Kopfhörer ab. Das Studiopublikum applaudierte.
»Das war’s, Leute!«, rief der Regisseur. »Danke.«
Hanna atmete innerlich auf und versuchte, ihre verkrampfte Gesichtsmuskulatur nach zwei Stunden Dauerlächeln zu lockern. Das neunzigminütige Sommer-Special mit dem Thema »Schicksal oder Zufall«, die letzte Sendung vor der Sommerpause, hatte ihr alle Konzentration abverlangt. Die Gäste hatten sich kaum bändigen lassen. Es war Knochenarbeit gewesen, ihnen allen genügend Redezeit zu verschaffen, und der Regisseur hatte Hanna ständig über den Knopf im Ohr dazwischengequakt, bis sie ihn während eines Einspielers angeherrscht hatte, er solle bitte schön endlich die Klappe halten, sie wisse schon, was sie tue.
Wenigstens hatte das Team funktioniert. Meike und Sven, der neue Producer, hatten bereits im Vorfeld einen perfekten Job gemacht. Hanna entkam in ihre Garderobe, bevor das Publikum sie mit Autogrammwünschen bestürmen konnte. Sie hatte keine große Lust auf die After-Show-Party oben auf der Dachterrasse, aber ihrem Team und den Gästen war sie es schuldig, wenigstens eine halbe Stunde dabei zu sein. Das Make-up juckte, sie war dank der Hitze der Scheinwerfer komplett durchgeschwitzt. In der vergangenen Nacht hatte sie so gut wie keinen Schlaf bekommen, doch obwohl sie schlagkaputt war, vibrierte ihr Körper vor Lebenslust und Energie. Seit Tagen fühlte sie sich, als stünde sie unter Starkstrom, der Ärger, den sie Norman verdankte, war längst vergessen.
Hanna griff nach ihrem Handy, ließ sich in einen der Sessel fallen und trank ein paar Schlucke lauwarmes Mineralwasser. Mist, schon wieder kein Empfang in diesem Atombunker! Die Studios von Antenne Pro und den anderen Sendern, die zu der Holding gehörten, lagen in einem hässlichen Gewerbegebiet in Oberursel. Im ersten Stock hatten die Redakteure, die Controller und die anderen Mitarbeiter ihre Büros, die Geschäftsleitung hingegen hatte sich irgendwann in eine repräsentativere Immobilie outgesourct – die hohen Herren residierten seit zwei Jahren in einer Jugendstilvilla am Palmengarten im Frankfurter Westend.
»Hanna?« Meike kam herein, wie üblich ohne vorher anzuklopfen. »Kommst du hoch? Die Gäste fragen schon nach dir.«
»Zehn Minuten«, erwiderte Hanna.
»Fünf Minuten wären besser«, sagte Meike und knallte die Tür hinter sich zu.
Es hatte keinen Sinn, sich jetzt umzuziehen. Oben auf der Dachterrasse herrschten sicherlich auch noch immer dreißig Grad. Und wenn sie bald nach Hause wollte, dann war es besser, jetzt gleich hochzugehen, bevor alle einen im Tee hatten und sie nicht mehr wegließen. Hanna tauschte die Pumps gegen flache Ballerinas, schnappte ihre Tasche und verließ ihre Garderobe.
Auf dem Dach wurde gefeiert. Heute etwas ausgiebiger als sonst. Die Sommer- und Weihnachts-Specials waren für alle Mitarbeiter immer eine große Herausforderung, die Gäste im Gegensatz zu den normalen Sendungen prominent und sehr viel anstrengender als die No-Names, die vom Fernsehbetrieb ohnehin eingeschüchtert waren und nichts verlangten.
Schon auf der Treppe war der Empfang wieder da und Hannas Smartphone erwachte. Sie blieb auf dem Treppenabsatz unterhalb der Dachterrasse stehen und überflog die eingegangenen Nachrichten. Glückwünsche von Wolfgang für die gelungene Sendung, eine Rückrufbitte von Vinzenz, verschiedene andere SMS und E-Mails, aber nicht die, auf die sie wartete. Hanna verspürte einen Stich der Enttäuschung. Geduld war nicht ihre hervorstechendste Charaktereigenschaft.
»Hanna! Warte mal kurz!« Jan Niemöller nahm immer zwei Stufen auf einmal. »Das war echt eine super Sendung! Glückwunsch!«
»Danke.«
Er blieb atemlos neben ihr stehen und machte den Versuch, sie zu umarmen, aber Hanna wich zurück.
»Bitte nicht«, sagte sie. »Ich bin total durchgeschwitzt.«
Das Lächeln erlosch auf Niemöllers Gesicht. Sie ging die restlichen Stufen der
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