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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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läßt sich schon regeln. Was könnten wir über Yilmaz rauskriegen?«
    »Gurra holt da seinen Stoff. Du erinnerst dich an Gurra?«
    »Klar, Mann!« rief Hjelm aus. »Der verrückte Gurra. Sandkastenkumpel.«
    »Wenn jemand eine Ahnung hat, wo Andreas ist, dann Gurra. For old times' sake«, fügte Ernstsson etwas zweideutig hinzu.
    »Wie machen wir's?«
    »Yilmaz dealt an einem überwachungstechnisch ziemlich guten Ort, also haben wir ihn machen lassen. Das alte Lager vom aufgegebenen ICA–Laden. Wir liegen einfach in der Etage darüber und sehen direkt nach unten. Ideal.«
    »Und auf andere Weise kriegt man Gurra nicht zu fassen?«
    »Er hält sich auf Abstand. Das hier ist am besten.«
    »Jetzt sofort?«
    Ernstsson zuckte die Achseln. »Kann nicht schaden«, sagte er kurz.
    Jorge Chavez versuchte sich ein Bild von der Zusammenarbeit zwischen Hjelm und Ernstsson zu machen. War sie so wie die zwischen ihm und Hjelm? Hatten sie sich nähergestanden? Hatte ihr Zusammenspiel auch gut funktioniert? Er betrachtete sie, während er in der dreckstarrenden Etage über dem ICA–Laden wartete. War da nicht etwas Wachsames, fast Schuldbewußtes an Hjelms Verhalten gegenüber seinem früheren Kollegen, etwas Angestrengtes in seiner Körpersprache? Und wie gefärbt war sein eigener Blick?
    Die Beobachtungsposition war etwas ungünstig. Man konnte zwar direkt durch den Boden sehen und schräg von der Seite Yilmaz bei seinem gesetzwidrigen Treiben beobachten, aber das hätte bedeutet, stundenlang mit der Wange in der Mäusekacke und zwischen den Kanülen auf dem Boden zu liegen. Es war etwas einfacher, eine Minikamera im Loch festzukleben und sich das Spektakel auf einem Monitor anzusehen, und vor diesem Monitor hockten sie nun alle drei.
    Ein unablässiger Strom von Kunden kam und ging in Yilmaz' kaum kaschiertem Drug Store. Es war wie ein Querschnitt durch die Gesellschaft, von merkwürdigen Sechziger–Jahre–Relikten, die auf unergründlichen Wegen die Überdosis umgingen, bis zu adretten Mittelklassejünglingen unterwegs zu idiotisch buchstabierten Rave–Parties, von Prostituierten mit überreifem Aids bis zu Chefsekretärinnen in heimlichem Auftrag. Wenn Hjelm einen Anflug von Sehnsucht nach seinem alten Arbeitsplatz verspürt hatte, dann war der längst vorübergegangen.
    Yilmaz saß wie ein Pascha auf einem alten Kühlschrank und fischte kontrolliert die Bestellungen aus einem anderen. Er war Gott. Sein Wohlwollen bedeutete den Unterschied zwischen Himmel und Hölle. Er genoß es, ein paar Sekunden länger als nötig mit den Schlüsseln zum Paradies zu wedeln.
    Hjelm haßte jede Sekunde, nicht nur, weil die Reihe von Erniedrigten unendlich war, sondern auch, weil die Zeit davonschlich und Gurra durch Abwesenheit glänzte. Bald würde Yilmaz' Empfangszeit vorüber sein, und der Tag wäre vergeudet. Drei Stunden waren vergangen. Es war schon Nachmittag. Die Nässe zog immer tiefer in die verfallenen Räume ein. Der unablässige Zustrom von Kunden nahm langsam ab.
    Ein weiterer Mittelklasseheini tauchte auf, um sich mit ein paar farbenfrohen kleinen Pillen mit netten eingravierten Bildchen einzudecken. Er war ungefähr sechzehn, siebzehn Jahre alt und trat selbstsicher auf den Pascha auf dem Kühlschrank zu. Im Hintergrund wartete ein Kumpel, die Hände in den Hosentaschen, die Schultern hochgezogen. Er stand mit dem Rücken zur Kamera und trat nervös von einem Bein aufs andere, während sein Kumpel Yilmaz die Hand entgegenstreckte. Dann warf er einen hypernervösen kurzen Blick über die Schulter.
    Das war mehr als genug für Hjelm. Sein Körper zog sich in einem heftigen Krampf zusammen. Er warf sich zur Seite und übergab sich, verwundert über seine Reaktion: Scham und Schuldbewußtsein durchrieselten ihn. Es war wie die Flut von Erinnerungsbildern, die angeblich vor den Augen Sterbender Revue passierten. Sein ganzes Leben als Vater rauschte vorbei, jeder Fehler, jeder Schaden, den er seinem Sohn im Laufe der Jahre zugefügt hatte.
    Als er eine halbe Minute später wieder aufsah, an den verblüfften Kollegen vorbei, stand Danne immer noch mit dem Rücken zur Kamera. Der Handel seines Kumpels war plötzlich unterbrochen worden. Ein stark verwahrloster Junkie war hereingekommen und hatte angefangen, mit Yilmaz zu quatschen.
    »Das ist Gurra«, brachte Svante Ernstsson hervor.
    Hjelm war alles egal. Er sprang auf, daß der Stuhl umkippte, und schoß davon. Alle Blicke im unteren Raum richteten sich direkt auf die Kamera.

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