Botschaft des Schreckens
die Verbrecherin, während die Mörder… »Es müßte doch…« Ich brachte die Worte nur mühsam hervor – »es müßte doch eine andere Möglichkeit geben…«
»Es gibt keine«, erwiderte Carlos streng. »Auch uns ist das alles nicht angenehm. Meine Brüder und ich, wir machen uns Sorgen um unsere Herden. Unsere Hirten sind zuverlässig, aber sie werden wegen unserer Abwesenheit ratlos sein.« In verändertem Ton fuhr er plötzlich fort: »Abuela, die Schals! Wenn du uns noch länger warten läßt, wird es bald Zeit zum Essen sein!«
»Muy bien, Carlos«, sagte sie, aber die Lebhaftigkeit war aus ihrer Stimme geschwunden. Sie holte einen Schlüssel aus ihrem alten Schreibpult und steckte ihn in das Schloß einer der Truhen. Ihre Hände zitterten, als sie den Deckel hob, dessen einst kräftiges Rot jetzt zu einem stumpfen Rosa verblaßt war. Waren die Farben der Truhe verblichen, so galt für den Inhalt das Gegenteil. »Oh, wie wundervoll!« rief ich, als Dona Isabella niederkniete und einen Schal nach dem anderen herausnahm. »Vor dieser weißen Wand leuchten sie wie spanische Blumen!«
Sie nickte. »Si. Sehen Sie den hier. Den trug ich bei einem Fandango mit Carlos’ Großvater. Es ist, als wäre es gestern gewesen.«
Ihre Hände umklammerten den Schal, als könne sie damit die Erinnerung an Jugend und Liebe festhalten.
»Laß gut sein, querida«, sagte Carlos sanft. »Jede Liebe endet einmal, außer in Traum und Erinnerung.«
Dona Isabella nickte wieder. Einen Schal nach dem anderen holte sie jetzt aus den Tiefen der Truhe, rote, grüne, blaue, gelbe, alle mit langen Fransen versehen und mit Blumenmustern bestickt. Große, dunkelrote Rosen . , rote Nelken… blaue und rosa Lotosblumen… gelbe Blüten auf dünnen Zweigen. Wieviel Schönheit lag in diesen Truhen begraben!
»Man nennt sie Spanische Schals«, erklärte Carlos. »Aber sie kommen aus China. Sie waren für die spanischen Donas bestimmt, kamen aber oft nur bis Santa Fe.«
»Allein diese Schals sind schon ein kostbares Erbe«, sagte ich. »Kein Wunder…« Aber ich durfte die kurzen Momente nicht stören, wo wir dem Bann der drohenden Gefahr zu entfliehen vermochten, und verstummte.
»In der Tat«, sagte Don Carlos. »Und was glauben Sie, wobei wir unsere Großmutter einmal ertappten, als es mit unserem rancho nicht so gut stand? Sie wollte helfen und versteckte einen dieser Schals unter ihrem Kleid, um ihn nach Santa Fe zu einem Sammler zu bringen.«
»Ihr hattet so große Sorgen.« Dona Isabellas Miene umwölkte sich bei dieser Erinnerung. »Ihr habt nur noch von Schulden geredet und davon, daß wir die Hacienda verlieren könnten. Nur auf meinen Schätzen zu sitzen, kam mir selbstsüchtig vor. Ich liebe sie, aber« – sie strich ihm zärtlich über das dunkle Haar – »meine Enkel liebe ich noch viel mehr!«
»Und wir lieben dich und diese Hacienda«, sagte Carlos leise. »Zum Glück ertappten wir dich, bevor man in der Stadt etwas von unseren Schwierigkeiten erfuhr. Für die Hacienda Montera darf es niemals eine solche Erniedrigung geben.« Und seine dunklen Augen funkelten, als er das wiederholte: »Nein, niemals!«
»Das wird nicht geschehen«, sagte die alte Dame. »Ich habe zu Unserer Lieben Frau gebetet, und sie hat mich erhört. Jetzt geht es uns gut. Unter dir, Antonio und Miguel floriert der rancho besser als jemals zuvor.«
»Ob es nun Unsere Liebe Frau oder irgendein anderer Umstand war«, sagte Don Carlos trocken, »eines verspreche ich dir, Abuela: Kein Fremder wird jemals seine gierigen Hände auf deine Schätze legen. Nicht auf einen einzigen Schal.«
Dona Isabellas dunkle Augen durchforschten ernst sein Gesicht. »Und auf die von Dolores…?«
»Auch auf die von Dolores nicht. Aber genug davon. Willst du uns nicht auch noch deine Fächer zeigen?«
Vielleicht war es die Entschlossenheit in Carlos’ Blick, die meine Besorgnis von mir nahm. Warum sollten wir uns nicht die Fächer ansehen? Er und seine Brüder waren ja hier. Wer oder was sich innerhalb dieser Mauern befand, war sicher.
Vielleicht war auch Abuela freier ums Herz geworden, nachdem Carlos sie seiner Liebe zu ihr und Dolores versichert hatte? Eine gringa würde wohl nie eine wirkliche Versuchung für einen ihrer Enkel sein. Warum sollte sie also Señorita Terrill nicht ihre Fächer zeigen?
Als sie etwa ein Dutzend davon aus der Truhe geholt hatte, ging eine Veränderung in ihr vor. Sie hielt sich einen schwarzen Spitzenfächer
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