Brandzeichen
Selbstlosigkeit ihn dem Abbild Gottes näherbrachten, als man das von vielen menschlichen Wesen sagen konnte.
»Freiheit«, sagte sie.
»Wenn du eine Seele hast - und ich weiß, daß du eine hast -, dann bist du mit freiem Willen und dem Recht zur Selbstbestimmung geboren. Die Ziffern in deinem Ohr sind eine Beleidigung, und wir werden sie loswerden.«
Nach dem Abendessen wollte Einstein sichtlich dem Gespräch lauschen, an ihm teilnehmen, aber seine Energie reichte nicht aus, und er schlief am Feuer ein.
Bei einem kleinen Brandy und einer Tasse Kaffee hörte Jim Keene zu, wie Travis ihm ihre Verteidigungsmaßnahmen gegen den Outsider schilderte. Travis forderte ihn auf, Lücken in ihren Vorbereitungen zu entdecken, aber mit Ausnahme der Verwundbarkeit ihrer Energieversorgung fiel ihm nichts ein.
»Wenn das Ding schlau genug wäre, die Leitung zu unterbrechen, die vom Highway hereinführt, dann könnte es Sie mitten in der Nacht in Finsternis stürzen und Ihre Alarmanlage nutzlos machen. Und ohne Energie wird der raffinierte Mechanismus in der Scheune die Tür nicht hinter der Bestie zuschlagen oder das Distickstoffmonoxyd freisetzen.«
Nora und Travis gingen mit ihm die Treppe hinunter ins Souterrain unter dem hinteren Teil des Hauses, um ihm das Notstromaggregat zu zeigen. Es wurde von einem Zweihundert-Liter-Benzintank gespeist, der im Hof vergraben war, und würde dem Haus und der Scheune und dem Alarmsystem mit nur zehn Sekunden Verzögerung Elektrizität liefern, falls die Hauptversorgung ausfiel.
»Soweit ich das erkennen kann«, meinte Jim, »haben Sie an alles gedacht.«
»Ich glaube auch, daß wir das haben«, sagte Nora. Aber Travis zog die Stirn in Falten.
»Ich weiß nicht recht...« Am Mittwoch, dem 22. Dezember, fuhren sie nach Carmel. Sie ließen Einstein bei Jim Keene und verbrachten den Tag mit Weihnachtseinkäufen, erstanden Dekorationen für das Haus, Christbaumschmuck und den Baum selbst.
Jetzt, wo die Drohung des Outsiders unablässig näher rückte, schien es beinahe frivol, Pläne für das Fest zu machen.
Aber Travis sagte:
»Das Leben ist kurz. Man weiß nie, wieviel Zeit man noch übrig hat, also kann man Weihnachten nicht einfach verstreichen lassen, ohne zu feiern, ganz gleich, was geschieht. Außerdem waren meine Weihnachten in den letzten Jahren nicht so besonders. Ich habe vor, das auszugleichen.«
»Tante Violet hielt nichts davon, Weihnachten groß zu feiern. Sie hielt nichts von Geschenken oder einem Weihnachtsbaum.«
»Sie hielt nicht viel vom Leben«, sagte Travis.
»Und das ist ein Grund mehr, dieses Weihnachten richtig zu feiern. Es werden unsere ersten guten Weihnachten sein, für Einstein überhaupt die ersten.« Nächstes Jahr, dachte Nora, wird ein Baby im Haus sein, mit dem wir Weihnachten feiern können -da wird's dann erst richtig hoch hergehen! Davon abgesehen, daß sie ein paar Pfund zugenommen hatte und morgens manchmal etwas unpäßlich war, waren an ihr bis jetzt noch keinerlei Anzeichen ihrer Schwangerschaft zu sehen. Ihr Bauch war immer noch flach, und Dr. Weingold sagte, daß sie mit ihrem Körperbau durchaus die Chance habe, zu jenen Frauen zu gehören, deren Leib sich nur mäßig ausdehnte. Sie hoffte, in dieser Beziehung Glück zu haben, weil es dann nach der Geburt viel leichter sein würde, wieder die alte Figur zu kriegen. Natürlich war das Baby erst in sechs Monaten fällig, und das ließ ihr noch genügend Zeit, so dick wie ein Walroß zu werden. Als sie in dem Pick-up aus Carmel zurückkehrten, dessen hinterer Teil mit Paketen und einem perfekt gewachsenen Weihnachtsbaum beladen war, schlief Einstein ha lb auf Noras Schoß. Der Tag, den er mit Jim und Pooka verbracht hatte, hatte ihn angestrengt. Sie kamen eine knappe Stunde vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause. Einstein eilte ihnen zum Haus voraus ... ... blieb aber plötzlich stehen und sah sich neugierig um. Er zog schnüffelnd die kühle Abendluft ein und ging dann quer über den Hof, die Nase auf dem Boden, als hätte er eine Witterung aufgenommen. Nora, die mit Paketen vollbeladen auf die Hintertür zuging, sah zuerst nichts Ungewöhnliches am Verhalten des Hundes, bemerkte dann aber, das Travis stehengeblieben war und Einstein anstarrte.
»Was ist denn?« fragte sie.
»Warte mal.« Einstein hatte den Hof jetzt hinter sich gelassen und ging auf den Waldrand an der Südseite ihres Grundstückes zu. Er stand starr da, den Kopf nach vorne gestreckt, schüttelte sich dann und
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