Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
zermartere mir sorgenvoll das Gehirn, schaffe nichts und helfe niemandem. Deswegen denke ich lieber nicht nach, jedenfalls nicht bewusst. Ich denke an Pflanzen, Arzneimittel und Zahlen, kämpfe mich durch die Daten, auf der Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt, der dabei hilft, die Kranken zurückzuholen.
Die Listen zu vergleichen ist nicht so einfach, wie es klingt. Sie enthalten nicht nur Bezeichnungen für Nahrungsmittel, die Dorfbewohner und Farmer verzehrt haben, sondern auch Angaben zu der Häufigkeit, mit der sie verzehrt wurden, darüber, ob sie tierischen oder pflanzlichen Ursprungs waren, zu den Böden, auf denen die Pflanzen gedeihen, und unendlich viele weitere Fakten, die in die Kalkulation mit einbezogen werden müssen. Doch nur, weil eine Substanz häufig verzehrt wurde, bedeutet das noch nicht, dass sie Immunität verleiht. Andererseits ist es höchst unwahrscheinlich, dass etwas nur einmal Verzehrtes vor einer Krankheit schützt.
Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen – die Medics untersuchen die Kranken und kehren zurück, um Bericht zu erstatten, Oker und Xander erledigen ihre Arbeit, die Sortierer machen Pause, Leyna überprüft unsere Fortschritte. Ich gewöhne mich an das Rein und Raus, blicke irgendwann nicht einmal mehr auf, wenn die Holztür geöffnet und geschlossen wird, und bemerke kaum, wenn die kalte Bergluft hereinweht und mir durchs Haar fährt.
Die Stimme einer Frau reißt mich aus meiner Konzentration. »Uns sind noch ein paar andere Dinge eingefallen, und ich will sichergehen, dass sie auch auf unserer Liste stehen.«
»Kein Problem«, sagt Rebecca.
Irgendwie kommt mir der Dialekt der Frau bekannt vor. Ich blicke auf.
Sie sieht älter aus, als ihre Stimme vermuten lässt. Ihr graues Haar ist zu kunstvollen Zöpfen geflochten auf ihrem Kopf aufgetürmt. Sie hat wettergegerbte Haut und eine sanfte Gestik. In der Hand hält sie ein Blatt Papier mit einer Liste. Selbst von meinem Platz aus kann ich erkennen, dass die Liste handgeschrieben und nicht ausgedruckt ist.
»Anna!«, sage ich.
Sie dreht sich um, sieht mich an und fragt: »Kenne ich dich?«
»Nein«, sage ich. »Entschuldigen Sie. Aber ich bin in Ihrem Dorf in den Canyons gewesen und kenne Hunter und Eli.« Ich sehne mich danach, Eli zu sehen, aber weil ich mich um Ky kümmern und an dem Heilmittel arbeiten muss, habe ich mir noch nicht die Zeit genommen, nach der neuen Siedlung der Farmer Ausschau zu halten, obwohl ich weiß, dass sie nicht weit vom Dorf entfernt liegt. Ich habe schreckliche Gewissensbisse, obwohl ich nicht einmal weiß, ob Leyna und die anderen mich gehen lassen würden, wenn ich darum bitten würde. Ich bin nun mal hier, um an dem Heilmittel zu arbeiten.
»Du musst Cassia sein«, sagt Anna. »Eli hat viel von dir erzählt.«
»Ja, ich bin Cassia«, antworte ich. »Bitte sagen Sie Eli, dass Ky auch hier ist.« Hat Eli Anna von Ky erzählt? Annas Blick lässt es vermuten. »Aber leider ist Ky auch krank geworden.«
»Das tut mir sehr leid«, sagt Anna.
Ich umklammere den Rand des rohen Holztischs und ermahne mich, nicht zu intensiv an Ky zu denken, damit ich nicht zusammenbreche und ihm zu nichts mehr nütze bin. »Geht es Hunter und Eli gut?«
»Ja, es geht ihnen gut«, sagt Anna.
»Ich wollte sie besuchen, aber …«
»Schon gut«, sagt Anna. »Im Moment ist es eben nicht möglich.«
Rebecca wendet sich mit einem leichten Nicken zu uns um, und Anna versteht den Wink. Lächelnd sagt sie zu mir: »Wenn ich fertig bin, gehe ich zu Eli und erzähle ihm, dass du hier bist. Bestimmt möchte er dich gerne sehen. Und Hunter auch.«
Ich bedanke mich. Kaum zu glauben! Ich habe Anna getroffen, die Frau, von der uns Hunter erzählt hat, deren Texte ich in der Höhle gefunden habe und der Eli und später Indie in die Berge zu folgen versuchten. Als sie ihre Liste vorliest, schlägt mich ihre Stimme in ihren Bann.
»Mormonentulpen«, sagt Anna zu Rebecca, »und Castilleja, aber nur in kleinen Mengen, sonst kann die Pflanze toxisch wirken. Wir benutzen Salbei als Küchenkraut und bereiten aus Meerträubel Tee zu …«
Wörter, so schön wie Lieder. Jetzt wird mir auch klar, warum mir Annas Stimme so bekannt vorkommt – sie erinnert mich ein klein wenig an die meiner Mutter. Ich ziehe ein Blatt Papier zu mir hin und notiere mir die Namen der Pflanzen, die Anna aufzählt. Vielleicht kennt meine Mutter schon einige von ihnen, und über die anderen möchte sie bestimmt etwas lernen. Ich werde sie ihr
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