Chiemsee-Cowboys - Oberbayern Krimi
dem Siggi eine kräftige Portion drauf. Er selbst schnappt sich die Pfanne und eine Gabel und setzt sich neben Siggi auf die schmale Schlafcouch. Siggi stellt ihm vorsichtig eine Bierdose aufs Knie und sagt: »Weiß ich auch nicht, warum ich dir das jetzt erzähl, Mann. Das war so, die Geschichte: Ich hab auch mal einen Job gehabt, und eine Wohnung, und eine Familie. Aber dann ist was passiert, was Furchtbares, und das hat mich so was von aus der Bahn gekegelt, wie ich auf einmal ohne Frau und Kinder dastand, das kannst du dir gar nicht vorstellen, Mann. Tja, und die Wohnung, die war dann auch ganz schnell weg, auch alles andere, das sowieso. Weg, irgendwie, einfach weg. Ich hab dann bei einem Typen in Bocholt auf dem Schrottplatz gearbeitet und durfte mir dafür die Kiste hier herrichten und auch drinnen schlafen. War schon okay, der Typ. Aber ich war das scheinbar nicht, nicht okay, meine ich, denn eines Tages kam der Kerl an und sagte: ›Siggi‹, sagt er, ›du musst hier verschwinden.‹ ›Warum‹, sag ich, ›is was mit meiner Arbeit?‹ ›Nee‹, sagt der, ›aber meine Frau, die fürchtet sich vor dir, weil du oft mit dir selber redest und auch manchmal nachts hier rumschreist. Verstehst du doch, oder? Nimm das Wohnmobil mit, das schenk ich dir. Hier haste die Fahrzeugpapiere und ein paar hundert Euro extra. Mach’s gut, Siggi.‹ Ein Schulterklopfen und weg war er. Und ich kurze Zeit später auch. Und in der ersten Nacht im Wald, irgendwo bei Nürnberg war das, glaube ich, da hab ich diesen Traum gehabt. Da ist ER zum ersten Mal zu mir gekommen. Willste das hören? Schmeckt übrigens supercool, dein soul food , Mann.«
»Klar, erzähl. So viel Zeit muss sein«, sagt Zeno und biegt die beiden Lampen über dem Sofa so, dass er einigermaßen sehen kann, was er aus der Pfanne holt.
»Also, ich träume, dass ich über einen Sandstrand fliege, am Meer entlang, so in zehn Metern Höhe oder so. Um mich rum, da sieht alles richtig cool südseemäßig aus. Neben mir, da fliegt auch was, das sehe ich aber nicht. Ich kann’s nur hören. Eine Stimme hören, meine ich. Das war ER , und ER sagt zu mir: ›Siggi‹, sagt er, ›das war alles eine Riesenscheiße, schon klar, aber ich war immer bei dir. Ich kann’s dir sogar zeigen‹, sagt ER . ›Da, schau runter in den Sand‹, sagt ER . ›Was siehst du da?‹ Und wie ich so runterschau, da sehe ich Fußspuren da im Sand. Drei große Paare, also Fußspuren, und zwei kleine. ›Die kleinen Spuren, das sind deine Kinder, die großen Fußspuren, das bist du, deine Frau und ich‹, sagt ER , ›und das da unten, das ist dein Lebensweg.‹ Auf einmal, da sieht man einen, weiß jetzt auch nicht, einen Wirbel im Sand, und alle Fußspuren bis auf eine, die sind weg. In dem Wirbel verschwunden, verstehst du, Mann? Und nur eine einzige Spur geht weiter. Eine. ›Warum nur eine‹, sag ich zu IHM , ›warum bist du da auf einmal auch weg? Da ist ja nur noch eine Fußspur?‹ ›Aber ich bin ja gar nicht weg‹, sagt ER , ›ab da, ab da hab ich dich getragen, Siggi. Und ich werd dich auch immer weiter tragen‹, sagt ER . Wow, Mann, da bin ich wach geworden und hab gewusst, ich muss irgendwohin, weil da, irgendwo, wer für mich da ist. Der wartet schon auf mich. Verstehst du das, Mann? Hab den ganzen Scheiß noch nie jemandem erzählt. Prost!«
»Schon okay, Siggi, schon okay. Lass uns jetzt mal langsam los, sonst krieg ich noch mehr Stress.«
Siggi nickt zweimal ernsthaft, isst den letzten Bissen von seinem Teller und spült mit Bier nach. Dann klettern sie beide nach vorne ins Führerhaus der alten Kiste. Beim Anfahren fliegen die Gänge krachend ins Getriebe, und Siggi schiebt eine Musikkassette ein. Von Cream, »White Room«.
»Bist du einer von der Katholiken-Bande, oder was?«, fragt der Siggi und äugt den Zeno von der Seite an.
»Nein, ich war’s mal. Aber dann ist so viel passiert in meinem Leben, da hab ich den Glauben vorübergehend für was anderes in Zahlung gegeben.« Das sind die richtigen Gespräche, denkt er sich, gleich landen wir in der vierten Dimension.
»Weißt du«, sagt Siggi und wischt mit dem Ellenbogen über die Scheibe, die ziemlich beschlagen ist, weil das alte Gebläse wohl schon lange seinen Geist aufgegeben hat, »weißt du, du musst einen Katholiken nur fragen, ob er wirklich glaubt, dass sein Gott allmächtig ist. ›Jau, Mann‹, wird der sagen, ›mein Chef, der hat’s voll drauf, der kann alles. Der hat sogar seine eigene PR
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