Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
zuerst für Weidenbast hielt, bis man ihr erklärte, es handele sich um Nesselstängel. Alles passte wie angegossen, trotzdem war Renn traurig, als sie später erfuhr, dass man ihre gesamte Rabenkleidung – mit Ausnahme der Totemtierfedern – verbrannt hatte.
»Aber unsere Kleidung ist viel besser«, protestierte die Frau.
Bessere Kleidung, bessere Seife, alles ist hier besser, dachte Renn gereizt. Vielleicht sollten wir alle von nun an so leben wie der Rotwildclan.
Um sich Mut zu machen, behauptete sie, austreten zu müssen, und als sie allein war, rollte sie einen Beinling hoch und band das Messer aus Biberzahn, das ihr der Otterclan geschenkt hatte, mit einer Bogensehne an ihrer Wade fest. So. Nur für alle Fälle.
Als sie zurückkam, saß Torak am Feuer. Auch er war in neue Kleidung gesteckt und seine Tarnung abgewaschen worden. Es war schön, dass er wieder aussah wie früher, aber sie hatten ihm das Stirnband weggenommen und er betastete vorsichtig das Zeichen des Ausgestoßenen auf seiner Stirn.
Er rutschte ein Stück zur Seite, um ihr Platz zu machen. Der Rotwildclan scharte sich derweil ums Feuer. »Mach nicht so ein Gesicht«, flüsterte er. »Sie helfen uns doch. Und riech nur mal, wie das Essen duftet.«
Renn schnaubte unwillig. »Natürlich ist es viel besser als unseres.«
Sie musste jedoch zugeben, dass es einfach köstlich roch. Ein großer Korb aus Weidenwurzeln hing direkt über der Glut. Darin brodelte ein verführerisch duftender Eintopf aus klein geschnittenem Auerochsenfleisch, Pilzen und Farnspitzen. Der Eintopf war gar, als die Unterseite des Korbes beinahe verkohlt war. Außerdem wurden leckere Flachkuchen aus zerstoßenen Haselnüssen und Kieferpollen gereicht, großzügig mit Honig bestrichen, dazu dampfender Tee aus Fichtennadeln, um alles herunterzuspülen.
Es tat gut, sich am Feuer zu wärmen, aber von einem kurzen Dank an den Wald abgesehen, verzehrten die Rotwildleute ihr Essen schweigend. Renn dachte sehnsüchtig an die geräuschvollen Mahlzeiten der Raben, bei denen einer den anderen im Erzählen abenteuerlicher Jagdgeschichten übertraf.
Kaum hatten sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt, da überhäufte Durrain Torak auch schon mit Fragen. Überraschenderweise wollte sie überhaupt nicht wissen, was sie hierher verschlagen hatte. Sie interessierte sich ausschließlich dafür, wie es war, seine Seelen in einem Baum auf Wanderschaft zu schicken.
Torak hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden. »Ich … ich bin in einer Eibe gewesen. Und danach in einem anderen Baum. Ich habe so viele Stimmen gehört… ich konnte es kaum ertragen.«
»Ahh«, seufzte der Rotwildclan andächtig.
Selbst auf Durrains verschlossener Miene zeichnete sich eine Gefühlsregung ab. »Du hast die Stimme des Waldes gehört, die Stimme aller Bäume, die es gibt oder die es je gegeben hat. Ein Mensch kann das nicht ertragen. Hättest du länger als einen Herzschlag zugehört, wären deine Seelen zerrissen worden. Trotzdem beneide ich dich um diese Erfahrung.«
Torak schluckte aufgeregt. »Meine Mutter … Du hast gesagt, du kanntest sie. Erzählst du mir von ihr?«
Durrain tat die Frage mit einer gleichgültigen Handbewegung ab. »Sie entschied sich dafür, uns zu verlassen. Ich kann dir nichts über sie erzählen.«
»Nichts?«, fragte Torak entgeistert.
Renn war empört über so viel Herzlosigkeit. »Ihr habt doch bestimmt versucht, sie zu finden?«
Durrain beschränkte sich auf ein kühles Lächeln.
»Sie hat gemeinsam mit Toraks Vater gegen die Seelenesser gekämpft. Die beiden brauchten eure Hilfe.«
»Der Rotwildclan kämpft nicht«, entgegnete Durrain. Ihre wachen buchenbraunen Augen schienen Renns Seelen aufzuspießen. »Ich weiß, dass du ein bisschen von der Kunst der Schamanen verstehst. Im Großen Wald bist du jedoch hoffnungslos überfordert. Du bist keine Schamanin.«
Durrain hatte recht. Renn war sichtlich getroffen.
Nun war es an Torak, sich über die hochmütige Schamanin des Rotwildclans zu ärgern. »Du kennst Renn nicht. Im letzten Sommer hat uns ihre Vision rechtzeitig vor der Flut gewarnt. Sie hat viele Clans gerettet.«
»Ach, tatsächlich«, erwiderte Durrain von oben herab.
Torak schob das Kinn vor. »Damit verlieren wir nur Zeit. Ihr habt gesagt, unsere Suche sei zu Ende. Wisst ihr, wo der Eichenschamane sich aufhält?«
»Im Großen Wald gibt es keinen Eichenschamanen«, erklärte Durrain.
»Du irrst dich«, sagte Torak. »Wir sind seiner Spur hierher
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