Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
viel besser bestellt wäre.«
Luke seufzte. »Wenn er Probleme damit hat, sich mit seinem Zustand abzufinden, dann könnte er ja vielleicht …«
»Natürlich hat er Probleme damit!« Clary warf Luke einen vorwurfsvollen Blick zu, was er jedoch nicht bemerkte, weil er sich auf den Verkehr konzentrierte. »Gerade du müsstest doch verstehen, wie es ist, wenn man …«
»… eines Tages als Monster erwacht?« Luke klang nicht verbittert, sondern einfach nur müde. »Du hast recht. Das verstehe ich nur zu gut. Und wenn Simon jemals mit mir darüber reden möchte, bin ich gern bereit, ihm alles zu erklären. Er wird es überleben, auch wenn er im Moment vom Gegenteil überzeugt ist.«
Clary runzelte die Stirn. Die Sonne ging direkt hinter ihnen unter und ließ den Rückspiegel golden glänzen. Das helle Licht stach ihr in den Augen. »Das ist nicht das Gleiche«, sagte sie. »Du bist wenigstens in dem Wissen aufgewachsen, dass Werwölfe real sind. Aber ehe Simon jemandem mitteilen kann, dass er ein Vampir ist, muss er sein Gegenüber erst einmal davon überzeugen, dass es überhaupt Vampire gibt .«
Luke sah aus, als wollte er ihr widersprechen, besann sich dann aber eines Besseren. »Ich bin sicher, du hast recht.« Inzwischen fuhren sie durch Williamsburg, über die fast ausgestorbene Kent Avenue, an deren Straßenrändern sich hohe Lagerhäuser erhoben. »Trotzdem muss ich dir noch etwas geben. Schau mal ins Handschuhfach. Nur für den Fall der Fälle …«
Clary klappte das kleine Fach vor ihr auf und runzelte die Stirn. Sie holte eine glänzende Broschüre hervor, von der Sorte, wie man sie in Wartezimmern in transparenten Plastikständern findet. »Wie oute ich mich gegenüber meinen Eltern« , las sie laut vor. »Luke! Sei nicht albern. Simon ist nicht schwul, sondern ein Vampir.«
»Das weiß ich, aber diese Broschüre beschäftigt sich damit, wie man seinen Eltern eine schwierige Wahrheit über sich selbst vermittelt, die sie vielleicht gar nicht hören wollen. Möglicherweise könnte Simon ja eine der vorgestellten Ansprachen entsprechend abwandeln oder sich die Ratschläge ganz allgemein durch den Kopf gehen lassen …«
»Luke!« Clary sprach seinen Namen so scharf aus, dass er den Pick-up mit quietschenden Bremsen zum Stehen brachte. Sie befanden sich nun direkt vor Lukes Haus; links von ihnen glitzerte das Wasser des East River, während der Himmel über ihnen mit rußschwarzen Streifen und Schatten überzogen war. Ein anderer deutlich dunklerer Schatten kauerte auf Lukes Veranda.
Luke kniff die Augen zusammen. Als Wolf besaß er eine perfekte Sehkraft, aber in Menschengestalt war er immer noch kurzsichtig, hatte er Clary einmal erklärt. »Ist das …?«
»Simon? Ja, das ist er.« Sie erkannte ihn selbst dann, wenn sie nur seine Umrisse sah. »Ich werd mal besser mit ihm reden.«
»Klar. Ich … äh … muss noch ein paar Erledigungen machen … etwas abholen.«
»Was denn?«
Luke winkte ab. »Ach, nur ein paar Lebensmittel. Ich bin in einer halben Stunde wieder da. Bleibt auf keinen Fall hier draußen. Geht ins Haus und schließt gut ab.«
»Du weißt doch, dass ich die Tür immer verriegle.«
Clary sah zu, wie der Pick-up davonfuhr, und drehte sich dann zum Haus um. Ihr Herz raste. Sie hatte zwar schon ein paarmal mit Simon telefoniert, ihn aber nicht mehr gesehen seit jener Nacht, als sie ihn in den frühen Morgenstunden erschöpft und blutbespritzt zu Lukes Haus gebracht hatten, damit er sich waschen konnte, ehe sie ihn nach Hause fuhren. Clary hatte erst gedacht, sie müssten ihn vielleicht zum Institut bringen, aber das war natürlich nicht mehr möglich. Simon würde nie wieder eine Kirche oder Synagoge von innen sehen.
Clary hatte zugeschaut, wie er den Weg zu seinem Elternhaus hinaufgewankt war, mit hochgezogenen Schultern, als würde er sich gegen einen starken Wind stemmen. Als das Verandalicht automatisch ansprang, zuckte er heftig zusammen und Clary wusste, dass er in dem Moment befürchtet hatte, es könnten die Strahlen der aufgehenden Sonne sein. Und dann hatte sie die Fassung verloren und auf dem Rücksitz des Pick-ups leise zu weinen angefangen; ihre Tränen waren auf die seltsame schwarze Rune auf ihrem Unterarm getropft.
»Clary«, hatte Jace gewispert und versucht, ihre Hand zu nehmen, aber sie war vor ihm zurückgewichen, so wie Simon vor dem Licht zurückgewichen war. Sie würde Jace nicht mehr anfassen … nie wieder. Das war ihre Strafe, ihre Buße für das, was
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