Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
könne. Aus Angst vor Gesichtsverlust vermochte er die Mitarbeiter auch nicht zur Rede zu stellen; denn »sie könnten
ja merken, dass mir ihr feindliches Getue etwas ausmacht.« Erst als er nervöse Symptome größeren Ausmaßes entwickelt hatte,
erinnerte er sich an ein Führungsseminar, bei dem ich über derartige Phänomene berichtet und für Coaching als Möglichkeit
der Hilfe plädiert hatte.
Die Ängste Berufstätiger, von ihren beruflichen Sozialpartnern wegen einer Krise als »inkompetent« oder gar als »impotent«
definiert zu werden, sind oft ganz beträchtlich. Das bewirkt häufig auch, dass sie akute Krisen lange verschleppen, sodass
sie sich allzu oft zu chronischen Krisen mit massiven Symptombildungen wandeln.
In dieser Weise hatte sich auch die Krise des Bankfilialleiters ausgewachsen. Durch eine nicht ganz korrekte Behandlung von
seiner Seite hatte sich eine Angestellte gekränkt gefühlt. Da sie schon viele Jahre in dieser Bankfiliale tätig war und als
informelle Führerin über eine beträchtliche Anhängerschaft verfügte, gelang es ihr, einen Teil der Belegschaft gegen den »jungen
Schnösel« aufzuwiegeln. Es kostete den Vorgesetzten eine gewisse Zeit, bis er sich diese Krise eingestand. Und er brauchte
dann auch einige Coaching-Sitzungen, bis er die soziale Dynamik an seinem Arbeitsplatz verstand und der Diskriminierung entgegensteuern
konnte.
Die Situation an seinem Arbeitsplatz konstruktiv zu verändern gelang dem Filialleiter aber wahrscheinlich nur deshalb, weil
er sich an einem für ihn gänzlich neutralen Ort zunächst alle seine Ängste und Befürchtungen von der Seele reden konnte. Unterstützung
bei einem gleichrangigen Kollegen oder bei einem Mitglied der bankeigenen Personalabteilung hatte er noch nicht einmal in
Betracht gezogen.
|201| Eine Krise, die für Führungskräfte mit besonders viel Beschämung einhergeht, stellt fraglos ihre Entlassung dar. Die in solchen
Fällen von Firmen installierte
Outplacement-Beratung
wird immer von externen Beratern durchgeführt. Es würde von den betreffenden Führungskräften als nicht akzeptable Demütigung
erlebt, wenn diese Beratung in dem Haus stattfände, in dem sie früher »regiert« haben und das sie nun als »überflüssig ausrangiert«
hat.
Die »Kulturneutralität« des externen Coach
Einen externen Coach zur Krisenbewältigung zu engagieren birgt aber noch einen anderen Vorteil: Er ist nicht in das System
des Klienten integriert, also auch nicht von dessen Mustern infiltiert und kann deshalb unbefangener neue Deutungs- und Handlungsmuster
an den Klienten herantragen. In dieser Rollenkonstellation lässt sich zunächst vonseiten des Coach variabler interagieren,
als wenn er dem System des Klienten angehörte. So kann er z. B. Fragen stellen, die im Hause des Klienten als Tabuthemen gehandelt
werden. Er kann auch unübliche methodische Maßnahmen vorschlagen, also solche, die organisationsintern auf Befremden stoßen
würden usw.
So bat ich z. B. den Filialleiter der Bank, mit verschiedenfarbigen Bausteinen die informelle Struktur seiner Filiale aufzubauen
und mir im Rollenspiel vorzuführen, wie sich diese oder jene Mitarbeiter ihm gegenüber verhalten. Solche Arbeitsformen wären
inmitten einer »Prozesskultur«, wie sie Banken darstellen (
Deal, Kennedy
1982), schon aus atmosphärischen Gründen viel schwerer zu praktizieren. Räumliche oder personelle Koppelungen mit der spezifischen
Bankkultur hätten bei dem Klienten voraussichtlich eine stärkere Hemmung beim Bauen oder gar beim Rollenspielen erzeugt.
Mit einem externen Berater als Dialogpartner konstelliert sich für Klienten immer eine neuartige Welt. In dieser gelingt es
ihnen leichter, festgefahrene Verhaltensmuster über Bord zu werfen. Hier sind sie auch schneller bereit, mit für sie fremden
Materialien oder Handlungsformen zu experimentieren. So ergeben sich in solchem Rahmen vielfältigere Möglichkeiten von Rekonstruktionen
und gezielter Veränderungsarbeit.
Durch den
Dialog
mit dem Coach und dessen alltagsweltlichem Hintergrund bilden Klienten aber auch nuanciert neue Sinnzusammenhänge |202| (
Rappe-Glesecke
1990). Auf deren Folie können sie ihre aktuelle Krise bzw. ihre Deutungsweise der Krise neu zuordnen. Dementsprechend sind
sie auch schneller für die Einnahme von Meta-Standorten zu gewinnen, d. h. für exzentrische Perspektiven, von denen aus sie
sich als Mitverursacher
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