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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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Schattenkriegern geworden. Laut gesungen wurde es von den Kämpfern der Résistance, seitdem die Royal Air Force bei Lieferungen von Waffencontainern regelmäßig Tausende von Kopien des Textes mit abwarf.
    Komponiert von Anna Marly, einst erfolgreiche Sängerin in einem Pariser Kabarett, bevor sie vor den Deutschen nach London flüchtete, getextet von den Schriftstellern Joseph Kessel und Maurice Druon, die als aktive Mitglieder der Résistance von der Gestapo gesucht wurden, ebenfalls jetzt im Exil in England lebend, ist es weniger ein Schlachtgesang als vielmehr der Schwur: »Ce soir l’ennemi connaîtra le prix du sang et les larmes.« Sich zu rächen für alles, was die SS und die Milice Française in den vergangenen Jahren der Okkupation verbrochen hatten: »Heute Nacht wird der Feind erfahren, was der Preis ist für Blut und Tränen …« Und es mündet in die Aufforderung: »An die Kugeln, an die Messer, tötet schnell!«
    Aber am Schluss, wenn an diesem Sommertag in der Auvergne selbst harte Männer an den Gräbern leise zu schluchzen beginnen wie jene symbolischen Geigen des Herbstes von Verlaine, klingt das Lied wehmütig-trotzig – und gleichzeitig herzzerreißend: »Freund, wenn du fällst, kommt ein Freund aus dem Schatten und nimmt deinen Platz ein. Morgen wird das schwarze Blut in der Hitze auf den Straßen vertrocknen. Singt, Kameraden, nachts wird uns die Freiheit hören …«
    Colonel Gaspard weiß, wie er die Moral seiner Truppe heben kann. In einem Ordre du jour , einem Tagesbefehl, den er in seinem Quartier selbst vorträgt und überall sonst von seinen Offizieren verlesen lässt, zieht er eine positive Bilanz der bisherigen Kämpfe. Nimmt es mit der Wahrheit, was die Verluste des Gegners betrifft, dabei nicht gar so genau. Das sind die im Krieg erlaubten Notlügen. Drei schwere Schlachten habe es bisher gegeben. In der ersten vom 2 . Juni hat »unsere 2 . Kompanie den Angriff von siebenhundert SS -Männern in bewundernswert tapferer Weise abgewehrt«. Beim Rückzug musste der Feind seine Toten auf dem Feld liegen lassen. Etwa hundert Mann. Aufseiten des Maquis gab es keine Toten. Nur drei Schwerverletzte. Gaspard wusste, dass die Zahlen nicht stimmen konnten, und er wusste auch, dass die Deutschen grundsätzlich alles unternahmen, um ihre Toten zu bergen. Aber der Effekt, den diese Lüge haben würde, war ihm wichtiger.
    Deshalb legt er nach. Beim zweiten Angriff der Deutschen am 10 . Juni, diesmal unterstützt von 68 bewaffneten Fahrzeugen aus nördlicher und 100 aus südlicher Richtung, habe es in einem geradezu heldenhaften Widerstand, einer »résistance heroique«, wie er betont, »bei uns insgesamt etwa 65 oder 70 Tote gegeben«, weshalb er den nächtlichen Rückzug angeordnet habe. Beim dritten großen Angriff, einen Tag später, habe der Feind deshalb nur noch das verlassene Plateau des Mont Mouchet vorgefunden, jene Region, in der laut selbst gemaltem Grenzschild bis vor ein paar Wochen das freie Frankreich geherrscht habe.
    Insgesamt hätten die Deutschen, behauptet Gaspard, und der Colonel weiß selbstverständlich, dass er nach wie vor lügt, 1400 Mann verloren, weitere 1700 seien verwundet worden, der Maquis habe 150 Tote und 100 Verletzte zu beklagen. »Gedenkt derer, die am 10 . und 11 . Juni am Mont Mouchet gefallen sind, gedenkt aller, die in den vier Jahren, in denen wir kämpften gegen die Gestapo, gegen die Wehrmacht, gegen die Miliz des Verräters Darnand, gegen die Clique von Pétain und Laval, gestorben sind. Gedenkt unserer Kameraden, die ermordet wurden in den Kellern der Gestapo oder deportiert wurden nach Deutschland in die Konzentrationslager.« Das Ende von »Hitler und seiner Brut«, das Gaspard am Schluss beschwört, hatten dann leuchtenden Auges alle vor Augen, als sie die Marseillaise anstimmten.
    Für die überlebenden Schattenkrieger geht der Kampf in den folgenden Wochen des Sommers weiter. Wenigstens müssen sie nicht mehr frieren nachts. Wenigstens müssen sie nicht mehr stündlich mit Angriffen rechnen. Die Kräfte der Feinde sind durch die alliierte Landung gebunden. In der Luft haben sie aber nach wie vor die Hoheit. Viele Maquisards nutzen dennoch die irdische Ruhe und baden sich in den Seen des Vulkanmassivs den Dreck und den Gestank und den Angstschweiß vom Leib. Sobald sie einen deutschen Aufklärer hören, tauchen sie unter und holen erst unter dem Schutz von Büschen am Ufer wieder Luft.
    Agent Hubert wird die baldige Ankunft von zwei

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