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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Florin
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Ob Emmeneggers Niederschrift die Stelle wirklich wörtlich wiedergab?
    Lissie öffnete den Mund, um die Textpassage laut auszusprechen, doch dann schloss sie ihre Lippen wieder. Ihr Mund war trocken. Ihr Hals fühlte sich an, als habe sie gerade eine Fuhre Sand verschluckt. Sie merkte, dass sie eine Gänsehaut bekam. Irgendetwas stimmte nicht. Alarmiert hob sie den Kopf. Wegen der winzigen Fenster und des schlechten Wetters draußen war es im Raum immer dunkler geworden. Die Schatten der alten Möbel auf dem Holzfußboden schienen sich auszudehnen. Plötzlich waren die Ängste ihrer Kindheit vor dem Zwielicht und seinen schattenhaften, wabernden Gestalten wieder da. Lissie knipste das Deckenlicht an und lehnte sich mit dem Rücken wieder an den heißen Kachelofen. Sie schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken, ihren Kopf leer zu kriegen. Sie durfte nicht zulassen, dass die Erinnerung an ihren Vater ihr den Blick auf den Fall verstellte. Oder war vielleicht das Gegenteil der Fall? Halfen ihre Gefühle ihr, den Fall im richtigen Licht zu sehen?
    Zwei Generationen, dachte sie. Ständig stolperte man in diesem Fall über Generationsprobleme. Bei Karl Felderer, der seinen Vater offenbar hatte tot sehen wollen. Bei Justus, dessen Vater schon vor Jahren gestorben war und bei dem Karl Felderer den guten Onkel, wenn nicht sogar den Vater gespielt hatte. Und zu guter Letzt bei ihrem Detektivkollegen Luciano Pavarotti, der mit seinem Vater ganz offenkundig auch noch nicht fertig war.
    Lissie hielt die Augen geschlossen und ließ die Wärme aus dem Kachelofen auf sich wirken. Ein Kaleidoskop von Bildern zog in ihrem Kopf vorbei. Irgendwo war eine Verbindung zwischen dem, was in der letzten Woche passiert war, und den längst vergangenen Ereignissen, die noch nach fünfzig Jahren ihre Schatten auf Meran warfen. Lissie hatte den Eindruck, dass sie einige Teilchen des Puzzles zu fassen bekam, aber sie entglitten ihr wieder, bevor sie das Muster erkennen konnte. Da war beispielsweise dieser Immobiliendeal mit den Italienern. Warum hatten die Felderers angefangen, ihr Tafelsilber zu verkaufen? Warum hatte die Familie so dringend Geld gebraucht, dass Vater und Sohn ihren Ruf und ihre Stellung in Meran aufs Spiel gesetzt hatten?
    Wie ein zentrales Ganglion im Geflecht der Ereignisse kam Emil Felderer Lissie vor. Sie überlegte, wie er wohl damit klargekommen war, seine Freunde an den italienischen Staat auszuliefern. Ob er sich eingeredet hatte, gar kein Mörder zu sein, weil er es nicht selbst gewesen war, der geschossen oder gefoltert hatte?
    Ihr wurde heiß, und sie zog sich den Norwegerpullover über den Kopf. Gab es jemanden in der Familie der Loipfertingerin, der sich am alten Felderer rächen wollte, indem er seinen Sohn umbrachte? Das Kind der Loipfertingerin war gestorben. Vielleicht ein Bruder? Wenn es einen gab, war der wahrscheinlich heute auch viel zu alt für Mord und Totschlag.
    Plötzlich kam Lissie das Zeitungsfoto mit den drei Freunden in den Sinn. Auf der Aufnahme waren neben Felderer zwei andere Jungs gewesen. Sie erinnerte sich nicht mehr genau an die Gesichter, aber einer der beiden konnte gut und gern Luis Loipfertinger gewesen sein. Jedenfalls hatte er breit gegrinst, das wusste sie noch. Es passte. Und die Bäuerin hatte gesagt, dass es noch einen gegeben hatte, den Emil Felderer ans Messer geliefert hatte. Auch dieser Junge war offenbar gestorben. Lissie beschloss, das Thema gegenüber der Loipfertingerin noch einmal anzuschneiden. Aber wenn Rache wirklich der Beweggrund für den Mord war, warum hatte der Mörder dann so viele Jahre gewartet? Lissie schüttelt den Kopf. Das gab alles keinen rechten Sinn.
    Gleichzeitig rumorte die Bemerkung erneut in ihrem Kopf, die Karl Felderer Justus gegenüber hatte fallen lassen. Ihre Gedanken verselbstständigten sich. Hatte der junge Felderer seinen Vater, den Spitzel, so verachtet, dass er ihn lieber tot gesehen hätte? Lissie dachte kurz darüber nach, verwarf die Überlegung aber wieder. Karl Felderer hatte ihrer Meinung nach nicht in moralischen Kategorien gedacht. Wahrscheinlich hätte Karl das Gleiche wie sein Vater getan, wenn er damit ein Vermögen hätte begründen können. Vielleicht hatte Karl Felderer einfach nur ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater gehabt und sich vergeblich gegen dessen Einfluss auf seine Geschäfte und sein Leben gewehrt. Lissie kannte sich da aus. Man konnte sich vom eigenen Erzeuger nur schwer lösen, so verzweifelt man

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