Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
Woche Arbeit im Krankenhaus oder die Ausbildung des Personals müssten Interessenten ihnen entweder fünf Kisten der raren Patronen, eine Tonne Schaffelle oder Hundert Paar erstklassiger Kunstlederstiefel liefern. Teurer als Ärzte waren laut Charly nur Mütter.
Hier im Palast bereiteten Mam Rona übrigens nicht die gewöhnlichen Kranken, die an einem Biss von einem Raubtier oder an Fieber litten, die schlimmsten Kopfschmerzen. Nein, das größte Problem stellte der Kindergarten dar. Allmählich begriff Artur auch, warum vorhin alle den Bodyguards Platz gemacht hatten, als diese die Kinder zur Sanitätsstelle gebracht hatten, damit sie dort geimpft würden. Der Kindergarten lag in dem Palastteil, der am besten bewacht wurde. Bereits lange bevor Pap Rubens zum Oberhaupt dieser Kommune geworden war, hatte man die Fenster zu den Hängenden Gärten der Kleinen Eremitage vernagelt, damit der Nachwuchs dort ohne Gefahr an der frischen Luft spazieren gehen konnte. Der Kindergarten umfasste sowohl eine Krippe als auch die Schule, an der Lew unterrichtete, und zwar alle, vom Kleinkind bis zum Zwölfjährigen. In diesem Alter durften die Kinder dann wieder bei ihren Eltern leben und zusammen mit den Erwachsenen erstmals den Palast verlassen. Keines der Mitglieder des Rats wusste noch, wann und von wem diese Regelung eingeführt worden war, aber alle stimmten darin überein, dass diese Isolierung nur zum Besten der Kinder war. In den Kommunen, in denen sie nicht derart strikt bewacht wurden, war die Sterbequote weitaus höher.
Ganz zum Schluss wurde Artur auch die mürrische MG -Schützin mit der Schirmmütze vorgestellt. Sie hieß Arina und war die dritte Tochter von Lidia und die Stieftochter von Pap Rubens. Die junge Frau hielt es auch jetzt nicht für nötig, sich zu ihnen zu gesellen, im Gegenteil, sie rief ihre Mutter zu sich ans Fenster und lieferte sich einen Wortwechsel im Flüsterton mit ihr, an dessen Ende sie noch grimmiger dreinblickte. Trotzdem verließ sie das Büro nicht, sondern blieb bis zum Ende des Teetrinkens. Anfangs hatte Artur geglaubt, Arina sei nur aufgrund der Stellung ihres Stiefvaters anwesend, gehöre aber dem Rat nicht an. Doch dem war nicht so. Wenn jemand nur aus purer Höflichkeit zu dieser Runde hinzugebeten worden war, dann Daljar und Louis, die im Übrigen versuchten, die Möbel noch an Lautlosigkeit zu überbieten.
Arina war mit ihren vierundzwanzig Jahren bereits für den Geleitschutz der Karawanen verantwortlich. Deshalb wäre es nur logisch gewesen anzunehmen, sie unterstünde dem Verteidigungsminister Ruslan, tatsächlich war die Hierarchie aber etwas subtiler. Arina verfügte über äußerst seltene Fähigkeiten, die es ihr erlaubten, Gefahren zu spüren. Deshalb begleitete sie seit zwölf Jahren die Karawanen und hatte dabei schon Aberhunderten von Menschen das Leben gerettet. Von den Waren ganz zu schweigen. Denn für den Handel brauchte es etwas mehr als die kommerzielle Durchtriebenheit Charlys. Die Position als Chefin des Begleitschutzes stellte Arina wiederum auf eine Stufe mit den Mitgliedern des Rats.
Pap Rubens signalisierte Artur jedoch unmissverständlich, dass er sich über Arina nicht weiter auslassen wolle. Artur zog es daraufhin vor, seine Neugier zu zügeln, denn da Pap Rubens auf einer Bestrafung von Daljar und Louis bestand – und das, obwohl die beiden ihn mit in die Eremitage gebracht hatten –, schien es mit der Demokratie hier nicht gerade weit her zu sein. Die beiden bekamen jedenfalls je fünf Tage »Feuerholzbeschaffung« aufgebrummt.
Während des Gesprächs hatte Kowal mehrmals die Möglichkeit, sich vom Organisationstalent und dem eisernen Willen Michail Rubens’ zu überzeugen. Etwa zehnmal klopfte es an der Tür, Menschen kamen herein und hatten verschiedene Mitteilungen oder Bitten. Pap Rubens entschied alle Fragen im Handumdrehen, rief jemanden an oder schickte einen Kurier. Meist verwies er die Leute mit ihren Problemen jedoch kurzerhand an seine Untergebenen. Ein Wort des Widerspruchs hörte er nie, dazu stierte er sein Gegenüber zu durchdringend an, schwieg er allzu beredt in den Telefonhörer.
Nachdem Ruslan seinen Tee ausgetrunken hatte, verließ er als Erster den Raum, um die Wachtposten zu überprüfen. Als Nächstes verabschiedeten sich Charly und Sappeur, die alles für den Aufbruch der Karawane vorbereiten mussten. Kowal wollte das Büro zusammen mit Daljar und Louis verlassen, aber Pap Rubens hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
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