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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ein Sigmund-Freud- und Psychoanalyse-Fan. Er glaubte, was Sigmund Freud noch glaubte, was Psychotherapeuten heute aber nicht mehr unterschreiben würden. Damals dachte man noch, sobald man den Schlüssel zu dem Raum im Keller gefunden habe, sei alles gut. Der Patient sei in dem Augenblick schlagartig geheilt, in dem Unbewusstes bewusst werde.
    Besonders deutlich wird diese Sicht in den Filmen Ich kämpfe um dich (der, in dem Ingrid Bergman und Gregory Peck Psychiater spielen) und in Marnie .
    In Letzterem geht es um eben jene Marnie, eine junge Frau (gespielt von Tippi Hedren), die immer wieder Diebstähle begeht. Ihr Vorgesetzter (Sean Connery) ertappt sie eines Tages dabei. Anstatt sie anzuzeigen, bringt er sie dazu, ihn zu heiraten. Sie weigert sich jedoch, mit ihm zu schlafen, und unternimmt stattdessen einen Selbstmordversuch.
    Das macht dem Zuschauer endgültig deutlich, dass hier eine psychische Störung vorliegt. Nicht mit Sean Connery schlafen zu wollen, galt in den Sechzigern als sicheres Anzeichen einer psychischen Störung, zumindest bei Frauen.
    Am Ende des Films wird in einer dramatischen Szene die Ursache von Marnies Problemen deutlich. Ihre Mutter war eine Prostituierte, und einmal kam es zu einer Situation, in der die Mutter glaubte, einer ihrer Freier wolle sich an der kleinen Tochter vergreifen. Es stellt sich heraus, dass nicht die Mutter den Mann daraufhin umgebracht hatte, wie Marnie bisher glaubte, sondern dass Marnie selbst es war, im Glauben, er wolle ihrer Mutter etwas tun. All dies hatte Marnie völlig verdrängt , wie die Psychoanalytiker es nennen, wenn man etwas in den inneren Kellerraum schafft und dort vergisst.
    Diese Erkenntnis, die Wieder-Bewusstmachung, geht bei der Hauptfigur natürlich unter Aufbietung höchster Schauspielkunst vonstatten. Es wird geweint, es wird geschrien, es wird zusammengebrochen. Danach kann der Zuschauer das Kino in der beruhigenden Gewissheit verlassen: Marnie wird nie wieder klauen. Und die beiden gehen jetzt nach Hause, um einvernehmlichen Sex zu haben.
    Der Zuschauer hat etwas über die Psyche gelernt: Wenn Unbewusstes bewusst wird, ist das mindestens so anstrengend und so dramatisch wie eine Geburt. Oder wie ein Exorzismus. Kein Wunder, dass so viele Leute Angst vor Psychotherapie haben.
    Ja, zu Freuds Zeiten hat man noch geglaubt, dass Psychoanalyse (die zu dieser Zeit die einzige Form der Psychotherapie war) so abläuft. Nicht, dass Psychotherapie nicht auch sehr aufregend sein kann – aber es gibt nicht diese eine dramatische Szene. Das ist Kino, keine Realität. Manchmal gibt es einzelne Sitzungen, die den Patienten ein riesiges Stück voranbringen. Aber der Alltag ist ganz normale Kleinarbeit. Dass einem Menschen etwas wieder bewusst wird, das er komplett verdrängt hatte, kommt extrem selten vor. Allenfalls fällt dem Patienten etwas wieder ein, das nicht unbewusst, sondern vorbewusst war. Das heißt, es handelt sich um etwas, an das er lange Zeit nicht mehr gedacht hatte und das ihm erst wieder einfiel, als der Therapeut seine Aufmerksamkeit darauf lenkte. Für die meisten Menschen ist diese Tatsache eher beruhigend. Viele fürchten sich vor den finsteren Teilen in sich selbst, denen sie in einer Therapie begegnen könnten.
    Vor allem bei denjenigen, die potenzielle Kandidaten für eine Psychotherapie sein könnten, neigt sich das innere Gleichgewicht meist zugunsten des Herrn aus dem Obergeschoss. Bei ihnen gibt es viele Verbote und Selbstbeschimpfungen. Neugier auf sich selbst, der Mut, auch einmal ungewöhnliche Wege zu gehen, sind dagegen eher unterentwickelt.
    Viele Patienten gleichen Menschen, die ein großes Haus besitzen, davon aber nur wenige Räume bewohnen, weil sie überzeugt sind, es lohne sich nicht, die anderen zu betreten. Sie glauben, in ihnen gebe es etwas, das man am besten ruhen lassen sollte, das bestimmt nicht schön anzuschauen und wahrscheinlich sogar gefährlich sei. Denen erzähle ich mitunter, dass es sich dabei wohl nicht um ein Monster handelt, sondern um viele, viele kleine Gefühle, die man im Laufe seines Lebens verdrängt hat. Man hat die Kellertür kurz aufgemacht, sie die Treppe runtergeschubst und die Tür wieder hinter ihnen zugemacht. Natürlich finden das die kleinen Gefühle nicht so wahnsinnig berauschend, deshalb rotten sie sich da unten zusammen und veranstalten einen Höllenlärm. Das ist das, was wir als Symptome wahrnehmen. Weil dieser Lärm so laut, so quälend unangenehm ist, gehen wir davon aus,

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