… da war'n es nur noch drei - Disconnected ; 1
Zimmer, wo der Schwede inzwischen glücklicherweise eingeschlafen ist.
Nick beugt sich über Jonathan, der noch immer mit dem Arm über den Augen daliegt. „Jonathan? Wenn etwas nicht stimmt ... Wenn du in irgendeine Scheiße reingeraten wärst, dann würdest du es uns doch erzählen, oder? Denn dann würden wir dir helfen.“
Ich lege meine Hand auf seine Bettdecke. „Egal, was das Problem ist. Uns wird schon was einfallen.“
„Es ist besser, ihr kennt mich nicht.“
„Nein, das stimmt doch nicht.“
„Geht jetzt.“
Er nimmt den Arm nicht von seinem Gesicht. Er bereut nichts.
Wieder einmal ist es diesen Sommer hell geworden, ohne dass wir geschlafen haben, und wieder einmal stecken lauter falsche Gründe dahinter. Wir sitzen auf einem Zaun hinter dem Krankenhaus, und in drei Stunden müssen wir in der Schule sein. Ich jedenfalls. Mit Nick sollte ich wohl lieber nicht rechnen.
„Was sollen wir tun?“, frage ich.
„Nichts. Es gibt nichts, was wir tun können.“ Nick macht eine Kopfbewegung in Richtung Krankenhaus. „Ist das nicht deine Mutter?“
Meine Mutter hat das Gebäude soeben durch einen Seiteneingang verlassen. Ich kann sie hinter den Fahrrädern erkennen, aber sie sieht uns anscheinend nicht.
„Wollen wir rübergehen und ihr Hallo sagen?“
Ich schüttle den Kopf. „Sie glaubt doch, dass wir schon vor einer Stunde nach Hause gefahren wären.“
Meine Mutter zieht ein Zigarettenpäckchen aus ihrer Kitteltasche. Hastig klopft sie eine Kippe heraus, zündet sie jedoch nicht an.
„Ich dachte, deine Mutter hätte mit dem Rauchen aufgehört?“
„Sie schafft es nicht ganz.“
Jetzt kommt ein Mann aus dem Krankenhaus. Dem Kittel nach zu urteilen ist er Arzt. Irgendetwas sagt mir, dass meine Mutter auf ihn gewartet hat. Der Typ gibt meiner Mutter Feuer und steckt sich anschließend selbst eine Zigarette an. Er bleibt dicht neben ihr stehen, anstatt ein Stück zurückzutreten, wie man es normalerweise tun würde. Sie wirft ihre Zigarette schon nach einem Zug auf den Boden, vielleicht ist sie gar nicht dafür gekommen. Dann legt er seine Hand auf ihren Nacken, und meine Mutter küsst einen fremden Mann. Sie halten lange genug durch, um keinen Zweifel mehr zu lassen: Das ist etwas, was sie schon oft getan haben. Sie haben verabredet, sich hier zu treffen, für eine schnelle Pause, während es in der Notaufnahme noch ruhig ist, und sollten ihre Kollegen sie entdecken, dann sind sie nur auf eine Zigarette rausgegangen. Bevor sie wieder hineingehen, streicht er ihr zärtlich über Wange und Schulter. Diese Liebkosung ist schlimmer als der Kuss. Sie verrät Hingebung. Nähe. Alles, was sie nicht länger mit meinem Vater teilt. Vielleicht bin ich das Einzige, was sie noch mit ihm gemeinsam hat.
Er ist dünner geworden, aber das war er auch beim letzten Mal schon. Meine Mutter fällt ihm um den Hals, und ich denke, dass meine Eltern das nur mir zuliebe tun. Dann streckt mein Vater mir die Arme entgegen. Ich habe einen Stock im Rücken und Felsbrocken an den Händen, aber er zerrt mich an sich und schlingt seine Arme um mich. Ich stehe verkrampft da und merke, dass wir gleich groß sind. Vielleicht waren wir das schon, als er beim letzten Mal fuhr, aber damals umarmten wir uns nicht, weil ich an diesem Wochenende etwas anderes vorhatte. Jedenfalls wollte ich nicht noch einmal mit zum Flughafen und mich verabschieden.
„Du bist größer geworden, stimmt’s? Bist du gewachsen?“
Ich zucke mit den Schultern. Mein Vater drängt mir eine weitere Umarmung auf. Er riecht nach Schweiß und Baumwolle. Nach Vater.
Als wir am Auto sind, gehe ich automatisch zum Beifahrersitz. Meine Mutter bleibt auf der anderen Seite stehen und zögert. Normalerweise sitze ich hinten, wenn beide da sind, aber diese Regel hat sich geändert. Denn jemand, der acht Monate im Jahr in Afrika verbringt, gehört auf die Rückbank. Meine Mutter plaudert den gesamten Heimweg über. Äußerlich ist sie fröhlich und entspannt, aber an der Art und Weise, wie sie schaltet, erkenne ich, dass es reine Fassade ist. Wenn sie nervös ist, muss das Getriebe immer schwer darunter leiden. Jedes Mal, wenn ich in den Rückspiegel sehe, versucht mein Vater, meinen Blick zuerhaschen. Er lächelt mich durch einen neuen und fremden Vollbart an, der den Großteil seines Gesichts ausfüllt. Meine Augen im Rückspiegel sind leer.
Es regnet in Strömen. Mein Vater kommentiert die Wetterlage, als wir im Wohnzimmer sitzen und nicht wissen, was
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