Dämonen-Zwillinge
hatte. »Ich weiß es nicht.«
»Er ist doch sonst so pünktlich.«
»Ich weiß.« Harry trank die Tasse leer und schaute in sie hinein, als könnte er auf deren Boden die Antwort finden. Aber die gab es dort nicht zu lesen. Überhaupt wusste er nicht, was eigentlich passiert war.
Er konnte Dagmar verstehen, dass sie ihm die Frage schon zum dritten Mal stellte. Sie war es, die in der Klemme steckte, aber er musste auch weg und hätte schon längst verschwunden sein müssen. Wenn er in zehn Minuten nicht abfuhr, würde er es nicht mehr schaffen, pünktlich zu sein. An dieser Konferenz musste er teilnehmen. Es hatte auch keinen Sinn, wenn er es mit einer Ausrede versuchte. Jeder Fall – egal wie brisant er war – musste für diesen Tag hintangestellt werden. Genau das bereitete ihm Probleme.
Es war eigentlich ganz simpel. Trotzdem wusste er nicht, wo ihm der Kopf stand. Er brauchte nur einen Blick nach vom zu werfen und seine Partnerin anzuschauen.
Dagmar litt unter den Voraussetzungen. Ihr Gesicht war blass. Sie riss sich zwar zusammen, aber es war ihr anzusehen, dass sie Angst hatte. Die Haut war noch blasser geworden, wodurch das Rot der Haare stärker zum Vorschein kam. Unter den Augen malten sich die Ringe wie gepinselte Schatten ab. Sie hatte nie gewollt, dass er bei ihr blieb, doch allein der Ausdruck in ihren Augen sagte ihm genug.
Harry Stahl befand sich in der Zwickmühle. Auf der einen Seite stand seine Dienstauffassung, auf der anderen ging es um Dagmar Hansen, seine Partnerin. Es gab keinen Kompromiss, kein Mittelding. Er musste sich für die eine oder andere Seite entscheiden, und genau das wusste auch Dagmar.
»Du kannst ruhig losfahren«, sagte sie leise. »Ich komme schon zurecht. Wirklich.«
Sie wollte ihm nicht im Wege stehen. Als Harry allerdings den Klang ihrer Stimme hörte, da war ihm plötzlich klar, für welche Seite er sich entschieden hatte.
»Ich bleibe, Dagmar!«
Sie zuckte zusammen, öffnete den Mund und flüsterte: »Nein, das kannst du nicht. Du weißt doch, wie wichtig diese Konferenz ist.«
»Ja, das weiß ich.« Er nickte ihr zu. »Aber du bist mir wichtiger, Dagmar. Viel wichtiger. Also lasse ich es bleiben und warte zunächst noch ab.«
»Auf John?«
»Auch.«
Sie hob in einer verzweifelt anmutenden Bewegung die Schultern. »Er kann doch nicht einfach verschwunden sein, Harry. Das ist... das ist... unmöglich.«
»Etwas muss passiert sein. Sonst hätte er sich gemeldet. Du kennst doch John.«
»Das stimmt allerdings.«
»Es ist nun mal nicht seine Art. Ich habe zwar keine Beweise, aber ich glaube, dass sein Nichterscheinen mit den Zwillingen zusammenhängt. Für mich gibt es keinen anderen Grund. Sie wissen ja, wer ihnen auf den Fersen ist, und so haben sie versucht, ihn zu stoppen. Das Band zwischen ihnen und John ist schon am letzten Abend geknüpft worden. Sie sind ja auch bei ihm in der Wohnung erschienen und haben sich in der Fensterscheibe abgezeichnet.«
Dagmar nickte vor sich hin. »Sie haben alles im Griff, Harry. Sie sind so verdammt schlau. Ich fürchte mich. Ich... ich... habe mich immer für stark gehalten und auch auf mein drittes Auge gezählt. Aber das ist jetzt vorbei. Ich weiß genau, dass sie mir über sind. Damit zurechtzukommen ist verdammt hart. Ich stehe tatsächlich auf der Verliererstraße...« Sie zog die Nase hoch und begann zu weinen. »Ich hätte nie gedacht, dass so etwas eintreten würde und...«
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Worte. Sofort saßen beide wie angewurzelt.
»Willst du abheben?«, fragte Harry.
»Nein, nein, bitte du...«
Er ging in den Flur und meldete sich. Dagmar wollte trotzdem wissen, wer angerufen hatte. Es hielt sie nichts mehr am Tisch in der Küche. Sie ging bis zur Tür und blieb dort stehen.
Harry zeigte ihr sein Profil. Sie hörte, was er sagte, aber sie konnte nicht viel erfahren. Zudem hatte er den Lautsprecher nicht eingeschaltet.
»Nein, das ist verrückt!« Dann eine kurze Pause. »Aber du kommst doch – oder?«
Es war John. Dagmar wusste es. Sie wusste auch, dass etwas passiert war, und hatte den Eindruck, in einen Schwindel zu geraten, den sie allerdings schnell unter Kontrolle bekam.
»Ja, das ist dann noch mal gut gegangen. Okay, John, dann kann ich ja los.«
Der letzte Satz beruhigte Dagmar etwas, aber sie wollte trotzdem erfahren, was geschehen war. Harry hatte kaum aufgelegt, da war sie bei ihm und klammerte sich an seinen Arm.
»Ist John okay?«
»Ja.«
»Kommt
Weitere Kostenlose Bücher