... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
Haushälterin hatte weder ihren Männern noch den Mädchen gegenüber erwähnt, dass sie dieser angeblich allwissenden Frau einen Besuch abstatten würden. Fast hatte Suse den Eindruck, als wäre Máire der Boden unter den Füßen zu heiß geworden, dermaßen kopflos wieselte sie durchs Haus, um dafür zu sorgen, dass während ihrer Abwesenheit alles in geordneten Bahnen lief. Auch Killenymore durchquerten sie in Rekordzeit, da Máire nicht wie üblich mal hier, mal dort für ein Schwätzchen Halt machte.
Dieser Umstand rief mehr als all die anderen Ungereimtheiten Suses Misstrauen hervor. Nichts war der Älteren normalerweise heiliger als so ein richtiger Tratsch mit den Nachbarn. Heute indes begnügten sie sich damit, einigen bekannten Gesichtern aus der Ferne zuzuwinken – oder besser: abzuwinken.
Vor einem fern der Hauptstraße gelegenen, mit Stroh gedeckten Cottage am anderen Ende des Ortes machte Máire schließlich Halt. Japsend blieb auch Suse stehen und holte mehrmals tief Luft, um ihren Puls auf ein erträgliches Maß zu beruhigen. Gleichzeitig bemerkte sie, wie ihr die Knie weich wurden.
Auf der einen Seite hoffte sie natürlich, von dieser Frau etwas über Adrian zu erfahren, andererseits machte ihr gerade diese Aussicht Angst. Sie wusste so gut wie nichts von seiner Kindheit in Irland. War es nicht vielleicht bes ser, alles beim Alten zu belassen? Warum längst vergangene Geschichten auskramen, die nur kaum verheilte Wunden aufreißen würden?
Sie nickte beklommen, als sie Máires fragenden Blick auf sich gerichtet sah. Entschlossen drückte die Haushälterin die Gartentür auf und trippelte über die Steinplatten inmitten üppig blühender Frühlingsblumen.
Instinktiv duckte Suse ihren einen Meter fünfundfünfzig, als sie durch die Tür trat. Das war ja das reinste Puppenhaus! Ein schmaler Flur führte sie geradewegs in das kleine Wohnzimmer, dessen Tür einladend offen stand. Die blitzblank geschrubbten Holzdielen dufteten nach frischem Bienenwachs. Die Möbel waren abgenutzt, aber gemütlich und schienen auf Besuch nur zu warten. In einem Ohrensessel unter den Sprossenfenstern regte sich eine zusammengesunkene Gestalt.
„ Fíona, ich habe dir Besuch mitgebracht. Das ist Susanne, eine Freundin von Mathew. Du hast sicher schon von ihr gehört.“
Die Frau in dem Sessel schien von dem unangemeldeten Besuch nicht überrascht zu sein. Mit einem gütigen Lächeln neigte sie den Kopf zum Gruß. „ Céad míle fáilte . Seid herzlich willkommen, ihr beiden. Und du tritt näher, mein Kind, damit ich dich besser erkennen kann.“ Sie streckte den Arm aus und winkte die junge Frau zu sich.
Zögerlich schob sich Susanne vorwärts und blieb vor dem hohen Sessel stehen. Die Alte legte ihre knochigen Finger auf Suses Hand. Eigenartigerweise fühlten sie sich warm und weich an, lebendig.
„Ich bin zwar blind, doch ich kann in die Herzen der Menschen sehen.“
„Das tut mir leid.“
„Oh nein, das muss es nicht.“ Fíona klang überrascht, weil jemand ihre körperliche Beeinträchtigung bedauerte. „Meine Augen haben zu viele Lügen, zu viel Leid gesehen, sodass es kein wirklicher Verlust ist. Herzen dagegen, mein Kind, lügen nicht. Aber was steht ihr da immer noch? Nehmt Platz.“
Suse ließ sich auf die Kante des Stuhles nieder und wagte nicht, sich zu rühren.
„Du bist also gekommen, um die Geschichte des Grafen und seiner Familie zu hören?“
Sie berichtigte Fíona nicht, wenngleich sie sich absolut nicht für Matthias interessierte.
„Máire sagte, niemand kennt so gut wie Sie Sean Garraí und Killeny more und seine Bewohner. Und Matt’n … Matthias, der …“
„Der junge Graf weicht deinen Fragen aus.“
„Mmmh, nicht bloß meinen Fragen.“
„Dann werde ich dir seine Geschichte erzählen, so gut ich es vermag. Zunächst wollen wir allerdings Máire bitten, uns einen Tee zu kochen.“ Sie hob ihr Gesicht in deren Richtung und lächelte spitzbübisch. „Obwohl sie natürlich viel lieber Kaffee trinkt. Aber zu einer irischen Geschichte gehören nun einmal seit Urzeiten eine Tasse Tee und ein Torffeuer.“
Sie wedelte mit der Hand, um Máire auf Trab zu bringen. „Und bitte, meine Liebe, milk in first . Das ist das oberste Prinzip für einen guten Tee“, erklärte sie, wieder an Suse gewandt. „Falls sie es vergessen haben sollte, erinnere ich sie immer noch einmal daran. Zuerst gibt man die Milch in die Tasse, anschließend den aufgebrühten Tee und dann den Zucker.
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