DARKNET
nachgehen.
Arendel****/793 Level-9-Gartenbaufachkraft
Sebeck und Ross saßen in einem Café an der Main Street von Greeley. An ihrem Tisch befanden sich noch ein halbes Dutzend Personen, Einheimische, die Sebecks Quest und seine jüngsten Aktionen gegen Paramilitärkommandos in den Darknet-Feeds verfolgt hatten. Man hatte sich längst miteinander bekannt gemacht, das Essen war schon seit einer Weile von angeregter Unterhaltung abgelöst. Am anderen Ende des Tischs debattierte Price mit einem Onlinegaming-Ökonomen namens
Modius
, während die Gastgeber schallend lachten. Heute trug Price’ T-Shirt die Aufschrift: «Was würde Roy Merritt tun?»
Sebeck trank von seinem Espresso und lachte leise. Er wandte sich an Ross. «Laney hat mich bei Verstand gehalten. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn gemacht hätte.»
«Es war wohl reines Losglück, dass der Daemon
ihn
dafür ausgewählt hat, Sie auferstehen zu lassen.»
Sebeck wurde ernst. «Mein früheres Leben scheint mir tausend Jahre her, Jon.»
«Dieses Gefühl kenne ich.»
«Ich denke jeden Tag an meine Frau und meinen Sohn, aber wenn ich mit ihnen Kontakt aufnähme, würde ich sie nur in Gefahr bringen. Und was sollte ich auch sagen?» Sebeck hob theatralisch die Hände. «‹Ich bin kein Massenmörder, und der Daemon ist übrigens echt›?»
Er lehnte sich zurück. «Da saß ich nun im Bundesgefängnis, und Sie können sich ja wohl vorstellen, was in mir vorging, als man mir erklärte, Sie seien die ganze Zeit, die wir zusammen an den Sobol-Morden gearbeitet hatten, ein Schwindler und Hochstapler gewesen.»
Ross verzog das Gesicht. «Ja, Sie hätten mich vermutlich am liebsten erwürgt.»
«Ich dachte, Sie hätten mir das alles angehängt, Jon.» Er nippte an seinem Espresso. «Wie soll ich Sie denn jetzt nennen?» Er zeigte auf Ross’ Callout. «Sie heißen doch nicht wirklich ‹Rakh›, oder?»
«Nein.»
«Was zum Teufel bedeutet denn ‹Rakh›?»
«Es ist russisch. Hören Sie, ein Vorteil des Darknets ist, dass niemand wissen muss, wer man
war
. Weil die Leute wissen, wer man
ist
.»
Sebeck deutete auf Ross’ Darknet-Rufwert. «Offenbar jemand, auf den man sich verlassen kann.»
Ross nickte. «Das ist doch das einzig Wichtige, oder?»
Sebeck dachte darüber nach. «Tja, was Sobol angeht, hatten Sie damals tatsächlich recht. Wir hätten auf Sie hören sollen.»
«Ach ja?» Ross deutete auf das geschäftige Kleinstadtleben um sie herum.
Im Gegensatz zu so vielen Städten des Mittleren Westens schien Greeley eine Wiedergeburt zu erleben. Die Main Street säumten frischrenovierte Ladenfronten und Mikrofabriken, hinter deren hochgezogenen Rolltüren man Hersteller und Kunden sah, die auf D-Raum-Objekte deuteten, miteinander verhandelten und 3D-Pläne aus dem Darknet abriefen. In den Werkstatträumen brummten CNC -Fabrikationsmaschinen.
Die Straße belebten Dutzende junger Erwachsener, Familien und selbst älterer Menschen mit Callouts über den Köpfen. Sie klickten auf anderer Leute Daten und interagierten in multiplen Dimensionen, als wäre das eine vollkommen natürliche Erweiterung der Realität. Bereits so etwas wie eine zweite Natur.
Es erinnerte Sebeck an etwas, das Riley vor Monaten in New Mexico zu ihm gesagt hatte: über soziale Interaktionen, bei denen Rasse und Geschlecht keine Rolle mehr spielten. Hier waren sie alle Netzwerkmitglieder, und Sebeck hatte an sich selbst festgestellt, dass er zunehmend auf die Callouts der Leute schaute, um wirklich zu sehen, wer sie waren. Der Rufwert war jetzt wichtiger als die äußere Erscheinung, und es verblüffte ihn, wie schnell sein Gehirn die Umstellung vollzogen hatte. Im Darknet hatten alle dieselbe Callout-Farbe.
Sebeck reduzierte die Zahl der für ihn sichtbaren Layers und seine D-Raum-Sichtweite, um eine Callout-Überflutung zu verhindern. Er fragte sich, wie lange das hier schon so ging. Nach den vielen Gerüsten und im Gang befindlichen Bauprojekten zu urteilen, noch nicht sehr lange. Die meisten dieser Leute waren wohl erst kürzlich aus Großstädten und Vorstädten hierhergezogen. Oder vielleicht auch aus Großstädten und Vorstädten hierher
zurück
gezogen.
Auch Ross beobachtete das Kleinstadttreiben. «Auf der Grundlage dessen, was wir beide jetzt wissen, ist es manchmal schwer zu sagen, ob das damals schlecht oder gut war. Wenn der Zerfallsprozess weitergeht – wer weiß schon, ob das hier nicht am Ende Menschenleben
und
die Zivilgesellschaft
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