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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Sicherheit?«
    »Nein.«
    »Und das heißt? Daß die Öffentliche Sicherheit sich im Gegensatz zu Ihnen nicht um die Jungen schert?«
    Xu antwortete nicht, sondern bedachte ihn lediglich mit einem kühlen Blick.
    Er zog den schwarzen Kompaß aus der Tasche, klappte ihn auf und legte ihn auf den Tisch. »Erkennen Sie dieses Instrument? Hat es Ihrem Ermittler gehört? Oder Bao?«
    »Mir jedenfalls nicht«, gab sie gereizt zurück, als hätte er sie eines Vergehens beschuldigt. Dann starrte sie den Kompaß an. »Haben Sie das Ding dort gefunden? Mein Untersuchungsbeamter war zuvor nicht allein da, sondern ist erst gemeinsam mit mir hingeflogen. Er hatte bloß Fragen gestellt und mit einigen Hubschrauberpiloten gesprochen. Ihm gehört der Kompaß also nicht. Und was Bao anbelangt, müßten Sie ihn schon selbst fragen. Ich könnte ein Treffen arrangieren«, bot sie mit einem kalten, schmalen Lächeln an.
    Shan klappte den Kompaß zu, ließ ihn aber zwischen ihnen auf dem Tisch liegen.
    »Was hätten Sie getan, falls Ihnen dort oben einer der Jungen begegnet wäre?«
    »Ich hätte ihn für einige Tage in Schutzhaft genommen. Dann hätte ich ihn wieder in die Obhut des Schulprogramms entlassen.«
    Shan schwieg für einen Moment und bedachte ihre Worte. »Verraten Sie mir eines, Genossin Anklägerin«, sagte er und steckte den Kompaß wieder ein. »Halten Sie die Tibeter für schuldig, nur weil Sui hinter den Leuten her war?«
    »Sui. Und jetzt Bao. Er läßt überall im Bezirk Kontrollpunkte einrichten. Wer mit tibetischen Papieren angetroffen wird oder auch nur in Tibet geboren ist, soll zum Verhör festgehalten werden. Er hat bereits ein paar alte Männer einkassiert, die ihre Abstammung nicht zu seiner Zufriedenheit erklären konnten.«
    Der Wasserhüter. Sie hatte den Wasserhüter mit keiner Silbe erwähnt. Weil man die Identität des Lama nicht enthüllt hatte, hoffte Shan. Vielleicht war der Mann im Lager Volksruhm sogar besser aufgehoben, weil er dort nicht Baos Aufmerksamkeit erregen würde. Dazu durfte er allerdings keine weiteren Schwierigkeiten mit den Politoffizieren bekommen.
    »Wegen eines Gedichts?« fragte Shan. »Hat Bao denn so große Angst vor Gedichten?«
    Sie legte abermals die Stirn in Falten. »Er ist Major der Öffentlichen Sicherheit«, sagte sie und meinte damit, daß Bao tun und lassen konnte, was immer er wollte. Er war niemandem eine Erklärung schuldig, auch nicht der Anklägerin.
    Sie sah ihn an und schien den Schmerz in seinem Blick zu bemerken. »Ihr Freund«, sagte sie und genoß dabei sichtlich sein Unbehagen, »dieser alte Tibeter, er reist in Begleitung eines gesuchten Rechtsbrechers. Überlegen Sie doch nur, was er wohl alles zu erzählen haben wird, sobald Bao ihn in die Finger bekommt.«
    Er ist nur ein alter Mann, wollte Shan erwidern, aber statt dessen kam ihm wie von selbst eine Frage über die Lippen. »Wieso hat er die anderen per Funk verständigt? Warum hat Sui ihn nicht einfach dort bei der Werkstatt verhaftet?«
    Xu öffnete den Mund zu einer Antwort, blieb jedoch stumm. Ihr Blick wanderte wieder in Richtung der Berge.
    »Weil er nicht wollte, daß Ko etwas davon mitbekam«, mutmaßte Shan.
    »Sui war wütend, als es den Patrouillen nicht gelang, Ihren Freund zu ergreifen. Er ließ extra eine Personenbeschreibung verteilen, um eine spätere Verhaftung zu gewährleisten.«
    »Es gibt noch einen Tibeter«, sagte Shan. »Was wissen Sie über Kaju Drogme?«
    »Ich habe ihn vor Beginn seiner Tätigkeit befragt. Er ist anders. Ein Musterbeispiel für alle Minderheiten. Einer der wenigen Tibeter, die begriffen haben, wie wichtig es is t, die Bedürfnisse unserer Gesellschaft ins Gleichgewicht zu bringen. Als erwogen wurde, ihn herzuholen, fand eigens ein Treffen deswegen statt. Daran teilgenommen haben Vertreter des Bildungsministeriums, des Büros für Religiöse Angelegenheiten, der Öffentlichen Sicherheit und der Brigade.«
    »Wieso der Brigade?«
    »Weil sie hier unverzichtbar ist. Sie stellt in unserem Bezirk das ausführende Organ der Behörden dar. Zur Überwachung dieses Programms gibt es in Urumchi ein eigenes Büro, das die Tätigkeit von fünfzig oder sechzig Lehrern überall in Xinjiang koordiniert, die allesamt selbst den Minderheiten angehören und für die kulturelle Angleichung ausgebildet worden sind. Sowohl Peking als auch die Führungsspitze der Brigade halten sehr viel von dem Projekt. Vergessen Sie nicht, daß die Brigade einen der größten Wirtschaftsbetriebe

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