Das Banner des Roten Adlers
einer
der
Diener.
»Dieser
Gödel.
Er
will
ein
Hausmädchen, das sich ausschließlich um eine alte Schachtel kümmert, die er ins
Schloss geholt und in einem leeren Zimmer im Mansardenstockwerk untergebracht
hat. Ich habe kein Hausmädchen dafür übrig. Und wenn ich sage, wir brauchen mehr
Geld, um ein neues Mädchen einzustellen, droht er, es bei uns abzuknapsen, dieses
Ekel.« »Wer ist denn die Alte?«
»Keine Ahnung. Irgend so eine alte Ziege aus Schloss Neustadt, glaube ich. Nein,
falsch, aus Ritterwald ...« Das war Krongut, wie Jim wusste. Warum sorgte sich
Gödel um alte Dienstleute des Königs? Er spitzte die Ohren.
Der Vorgesetzte sagte etwas zu einem Lakaien: »Ich weiß ja, dass es schon spät ist
und Sie eigentlich nicht mehr im Dienst sind, aber tun Sie es trotzdem. Die Frau hat
nicht viel Gepäck - nur einen Koffer und ein paar Taschen. Bringen Sie ihr die Sachen
in Gottes Namen nach oben.«
»Ist das für die alte Schachtel?«, mischte sich Jim ein. »Ich kann das übernehmen.
Ich wollte immer schon mal Lakai spielen.«
Der Diener ging
nur
zu
gern
auf
Jims
Angebot
ein;
der Stellvertreter
des
Haushofmeisters zuckte nur die Schultern und ging nach nebenan, um Anordnungen
für das Abendessen zu geben. Jim zog die Weste und den Rock des Lakaien an und
stopfte sich eine Serviette in eine Halsbinde.
»Die Kniebundhosen schenken wir uns«, sagte Jim. »Ich sage einfach, die seien in
der Wäsche. Sie kann meine strammen Waden ein andermal bewundern. Wohin
muss ich gehen?«
Der Diener beschrieb ihm den Weg. Dann eilte er den Gang hinunter bis zum
Eingang der Remise, wo ein ungeduldiger Träger einen Koffer aus Korbgeflecht von
der Kutsche lud. Anschließend reichte er einen abgewetzten Handkoffer der alten
Frau, die auf der Treppe wartete.
»Zu Ihren Diensten, Gnädigste«, sagte Jim. »Darf ich Ihnen beim
Koffertragen
helfen? Was haben Sie denn da drin? Ziegelsteine?«
Tatsächlich war der Koffer aber leicht, die Frau hatte nur wenige Habseligkeiten
dabei. Er trug den Koffer in das Zimmer, das ihm der Diener genannt hatte. Dort
hatte jemand bereits den Ofen angeheizt und eine Kerze aufgestellt.
»So, da wären wir«, sagte Jim. »Sie bekommen gleich etwas zu essen, sobald man
dem Dienstmädchen Beine gemacht hat. Ist sonst alles recht?« Die alte Frau schaute
sich um und nickte. Sie war eine dünne, sich gerade haltende Person mit lebhaften,
vogelartigen Bewegungen und rot gebeizten Wangen. »Vielen Dank«, sagte sie.
»Sehr schön. Ich bin hier gut untergebracht.«
»Wie ist denn bitte Ihr Name?«, erkundigte sich Jim. »Ich möchte doch meine
Herrschaft respektvoll beim Namen nennen.«
»Ja, ich weiß das zu schätzen«, erwiderte sie. »Ich bin Frau Busch. Und wer sind
Sie?«
Jim war wie elektrisiert. Er besann sich rasch und antwortete: »Ich heiße Jakob.
Wenn Sie etwas brauchen, Frau Busch, dann fragen Sie einfach nach mir. Aber da
kommt das Dienstmädchen. Lassen Sie sich das Abendessen schmecken!«
Er ging aus dem Zimmer und überlegte auf der Treppe eine Weile, was ihn vorhin so
elektrisiert hatte. Wo hatte er den Namen schon einmal gehört? Dann fiel es ihm
wieder ein. Gustav hatte am Vorabend der Krönungsfeier berichtet, was er im
Zeitungsarchiv über Prinz Leopold gefunden hatte: Der einzige Zeuge seines Todes
war
ein
Jäger
namens
Busch
gewesen.
Und
das
Ganze
hatte sich
damals
in
Ritterwald abgespielt, woher die alte Dame kam.
Am folgenden Tag machte auch Becky eine Entdeckung.
Wenn sie ein wenig Muße hatte, ging sie gern in das Kartenzimmer. Der alte König
Wilhelm hatte eine Passion für die Geographie gehabt, war in seiner Jugend viel
gereist und hatte sein Leben lang Karten gesammelt. Im Kartenzimmer befand sich
ein Mahagonischrank mit breiten, flachen Schubladen, die Land- und Seekarten aus
aller
Welt
enthielten.
Ferner stand
dort
ein
großer
Tisch,
um
die
Karten
zu
betrachten,
sowie
verschiedene
Erdund
Himmelsgloben,
ein
kleines
gregorianisches Teleskop auf einer Stundenachse und allerlei Navigationsinstrumente in
seidengefütterten Kisten aus Rosenholz.
Der Raum wurde geputzt und gebohnert, aber selten verirrte sich jemand hierher.
Becky benutzte ihn als Re-fugium, sie liebte die Ruhe, den Geruch von Bienenwachs,
den Eindruck von Präzision, der von den Karten und Instrumenten ausging.
Am Tag vor der Verhandlungsrunde verbrachte sie nachmittags ein paar Minuten
mit dem Teleskop im Kartenzimmer, ohne es auf ein bestimmtes Ziel einzustellen.
Dann kam ihr der Gedanke,
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