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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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auf,
nahm
das
Frühstückstablett von Adelaides Schoß und trug es zum anderen Ende des Zimmers,
wo sie es in eine Ecke stellte, als ob schon sein Anblick giftig wäre.
    Und die ganze Zeit über schluchzte sie: »Ein Komplott ich habe erst jetzt davon
erfahren - mein Mann - diese Schande - ist Eurer Majestät auch wirklich nichts
passiert? Habt Ihr nichts davon gegessen? Gott sei Dank oh, ich ertrage das alles
nicht -«
    Becky eilte zur Tür und schloss ab. Dann half sie der nun hemmungslos weinenden
Gräfin zum Sofa. »Mein Mann - mir war das nicht bewusst - hat Unrecht getan - aber
nicht das hier! Er steckt nicht hinter diesem Anschlag! Das war Gödel - er und die
Hofclique wollten nie Euren Erfolg - sie dachten, Ihr würdet die Last nicht tragen und
scheitern
-
aber
Ihr
habt
es
ihnen
gezeigt
und
seid
aus
allem
strahlend
hervorgegangen - und nun die Verhandlungen, der Vertrag - sie werden niemals
zulassen, dass Ihr den Vertrag unterzeichnet!« »Aber der Graf?«, sagte Becky. »Er
steckt doch nicht hinter dem Giftanschlag?«
    »Er hat mir heute Morgen gestanden, dass er die Verschiebung des Vertrags um
sechs Monate betrieben hat - aber doch nicht das hier! Er hat entdeckt, dass Gödel
viel Schlimmeres vorhatte - aber er und ich, wir haben erst jetzt davon erfahren, das
schwöre ich -« Adelaide hatte die ganze Zeit über das tote Kätzchen gestreichelt.
Während die Gräfin ihre Erklärungen stammelte, war die Miene der Königin immer
düsterer
geworden,
und
am
Ende sah
sie bitterböse aus.
Sie hob
das
kleine
Geschöpf auf den Nachttisch, schwang sich aus dem Bett und stand barfuß auf dem
Fußboden. Aus dunklen Augen funkelte sie die Gräfin an. »Man wollte mich also
vergiften? Mich, die Königin! Darauf lief also die Geschichte mit Leopold hinaus?«
»Leopold?«, fragte die Gräfin verblüfft. Offenbar wusste sie noch nichts davon.
    Becky setzte sie in Kenntnis. Die Gräfin schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Wo ist der Graf jetzt?«, wollte Adelaide wissen. »Er ist krank. Er war dabei, mir
alles zu erklären, als sein Herz plötzlich - ich weiß nicht - er brach zusammen. Ich bin
gleich hierher geeilt ...« »Und Sie? Stehen Sie auf meiner Seite?« »Ja! Ja, natürlich!
Auf alle Zeiten!« Und die große, auf Etikette bedachte Frau mit dem warmen Herzen
machte einen unbeholfenen Knicks. Dann legte sie Adelaide den Morgenrock über
die Schultern. »Ich ziehe mich gleich an«, sagte Adelaide. »Das Bad schenke ich mir
heute, ich bin sauber genug. Becky!
    Leg mir das weiße Seidenkleid raus. Ich bin heute nicht in Trauer, ich koche vor Zorn.
Und Beeilung! Wo zum Teufel steckt Jim? Warum ist er noch nicht zurück?« Da
Becky darüber
nichts
wusste, sagte sie
nichts, zudem
war
Adelaide
schon ins
Badezimmer gegangen, um sich die Zähne zu putzen. Becky holte das weiße Seidenkleid, das noch vor Rudolfs Tod bestellt worden war und das Adelaide nie getragen
hatte, und legte es zusammen mit frischen Strümpfen und Unterwäsche auf das
Bett.
    Zehn
Minuten
später war
Adelaide angezogen
und
die Gräfin
begann,
sie zu
frisieren. Becky sprang von der Frisierkommode zum Schrank und brachte bald die
Schmuckschatulle, bald den Parfümzerstäuber, bald den Lippenstift, bis Adelaide
plötzlich hochfuhr, als ob ihr etwas eingefallen wäre: »Becky - hör zu - in der unteren Schreibtischschublade - da liegt ein Samttäschchen. Hol es mir bitte.«
    Becky
fand
es:
ein
schweres
Samttäschchen,
nicht
größer als
ihr
Handteller,
goldbestickt und mit einer goldenen Schließe. Sie reichte es Adelaide, die es in ihrem
Mieder verschwinden ließ. Gleich darauf wurde laut an die Tür gepocht.
Die drei Frauen schauten sich an. Adelaide erhob sich. »Wie ist mein Haar?«
»Tadellos. Soll ich öffnen?«
    »Bleiben Sie als Ehrengarde hier, Gräfin. So will es die Etikette.«
Becky schloss die Tür auf und trat beiseite. Vor ihr stand Baron von Gödel mit einem
Hauptmann und einem Trupp Soldaten. Der Oberhofmeister war außer Atem; der
Puls an der Halsschlagader klopfte wie eine kleine Faust gegen den steifen weißen
Kragen. Sein Blick
huschte
durch
das Zimmer,
und Becky
begriff, dass er
das
Frühstückstablett suchte. Vielleicht hätten sie es als Beweismittel in Sicherheit
bringen sollen, doch dazu war es nun zu spät.
Ehe irgendjemand etwas sagen konnte, trat die Gräfin auf ihn zu.
    »Baron Gödel! Welche Erklärung haben Sie hierfür -für diesen abscheulichen Verrat
und Giftanschlag?« Ohne sie eines Blickes zu würdigen, drehte

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