Das Banner des Roten Adlers
sich der Baron um
und befahl dem Hauptmann: »Bringen Sie die Gräfin zu ihrem Mann. Er ist krank. Sie
wird hier nicht gebraucht.«
Die Gräfin richtete sich auf und sagte mit Bestimmtheit: »Ich bleibe an der Seite der
Königin. Das ist meine Pflicht und meine freie Wahl. Ich weiche nicht.« Der Baron,
der es weiterhin vermied, sie anzusehen, machte dem Hauptmann ein Zeichen.
Dieser
sagte
sichtlich
unwohl:
»Euer
Gnaden,
ich
bin
berechtigt,
Zwang
anzuwenden.«
»Und zweifellos sind Sie auch dazu entschlossen. Nun gut, junger Mann, tun Sie es.
Ich werde es Ihnen nicht leicht machen.«
Und sie hob das Kinn und funkelte ihn an.
Nun schaltete sich Adelaide ein. Sie klatschte in die Hände, worauf der Baron und
der Hauptmann schuldbewusst zusammenzuckten.
»Unterstehen Sie sich, irgendjemanden hier anzurühren«, sagte sie mit kaltem Zorn
in den Augen. »Gräfin, ich möchte nicht mit ansehen, wie Ihnen Zwang angetan
wird. Ich danke Ihnen für die Loyalität, die Sie mir bekunden. Aber bitte weigern Sie
sich nicht länger, mit dem Hauptmann zu gehen. Kümmern Sie sich um Ihren Mann,
er braucht Sie jetzt. Gewiss sehen wir uns bald wieder, sobald diese Farce hier ein
Ende hat. Bis dahin können Sie jedem sagen, der noch Ohren hat zu hören, dass ich
die Königin bin und niemals abdanken werde.«
Sie sprach in sorgfältig gesetzten Worten, und obwohl die Gräfin nur ungern zu
gehorchen schien, machte sie doch einen tiefen Knicks. Adelaide neigte sich und gab
ihr einen Kuss. Der großen Frau traten Tränen in die Augen, unwillkürlich streckte sie
die Arme aus und drückte Adelaides Hände. Becky staunte, wie sehr die Gräfin, die
zu Beginn von Adelaides Erziehung noch ein marmorkalter Ausbund an Verachtung
war, sich seither verändert hatte.
Der Hauptmann schlug die Hacken zusammen, als die Gräfin das Zimmer verließ,
und wies zwei Soldaten an, sie zu begleiten. Gödel drehte sich wieder um, und im
selben Augenblick sah Becky etwas, das ihr Herz beinahe stillstehen ließ: Auf dem
blauen Sofa lag die Pistole, die Jim ihr gegeben hatte. Sie machte ein paar Schritte,
als ob sie sich neben Adelaide stellen wollte, hoffte aber, die Pistole zu verbergen.
Vielleicht könnte sie ja die Waffe unbemerkt einstecken ...
Gödel wandte sich an den Hauptmann: »Bewachen Sie
sie scharf. Beide. Und
bringen Sie sie in die Burg.«
Adelaide begriff, was Becky vorhatte, und sprach den Oberhofmeister an, um ihn
abzulenken.
»Vielleicht erstaunt es Sie, mich wohlauf zu sehen nach dem vergifteten Frühstück,
das Sie mir geschickt haben. Das waren doch Sie, nicht wahr?«
Becky tat so, als wollte sie Adelaides Nachthemd zusammenfalten, nahm die Pistole
an sich und verbarg sie in ihrem Morgenrock. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie
Gödels ratlose Miene. Offenbar suchte er nach einer Erwiderung.
Schließlich bellte er den Hauptmann an: »So beeilen Sie sich doch!«
Der junge Offizier salutierte und trat vor. »Ich muss Sie bitten, mich zur Kutsche zu
begleiten. Sollten Sie Widerstand leisten, muss ich meinen Männern befehlen, Sie
mit Gewalt dorthin zu bringen.« Er sprach mit unsicherer Stimme: Adelaide war
immer noch seine Königin. Unter anderen Umständen hätte sie ihm einen Blick
zugeworfen, der ihn für immer zu ihrem Sklaven gemacht hätte. Doch aus Scham
wagte er nicht, sie anzusehen, sondern fixierte einen Punkt im Raum und wartete
mit gezogener Pistole.
»Ich
bin
nicht
töricht,
Hauptmann«, sagte sie, »und
ich
hoffe,
dass
Sie nicht
unhöflich sind. Sie müssen Fräulein Winter wenigstens Zeit geben, sich anzuziehen,
ehe wir gehen. Sie werden sie ja wohl nicht im Morgenrock durch die Stadt führen
wollen.«
Der
Hauptmann
wurde
wirklich
rot.
Den
Morgenrock
fest
zusammengebunden, verließ Be-cky das Zimmer. Den Soldaten neben ihr würdigte
sie keines Blickes und schlug die Badezimmertür laut hinter sich zu.
Sie wusch ihr Gesicht und putzte sich die Zähne, dann zog sie sich etwas Bequemes
an. Wenn sie ins Gefängnis musste, war Eleganz nicht nötig, aber warme Sachen
umso mehr. Sie warf noch ein paar Strümpfe, Unterwäsche und den Morgenrock in
die alte Reisetasche ihrer Mutter und steckte die Pistole in ihren Rockbund. Wenig
später öffnete sie die Tür und trat in Mantel und Hut ins Zimmer. Der Soldat machte
ihr ein Zeichen, ihm zu folgen, dann gingen sie steif durch die leeren Gänge bis zum
Osteingang, einem hinter der Orangerie gelegenen Seiteneingang, vor dem eine
geschlossene Kutsche mit berittener
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