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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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deren Bewusstsein mit dem Lord Asriels schwand, duckte sich unter Aufbietung ihrer letzten Kraft zum Sprung an die Kehle des Engels. Metatron sank auf die Knie. Mrs. Coulter, die mit ihm fiel, bemerkte, dass Lord Asriel sie mit blutunterlaufenen Augen anstarrte. Sofort sprang sie auf, drückte den wild schlagenden Flügel des Engels beiseite, packte erneut die Haare des Engels und zerrte seinen Kopf nach hinten, bis seine Kehle ungeschützt vor den Fängen der Schneeleopardin lag.
    Lord Asriel zog den Engel zum Abgrund. Er stolperte immer wieder, und Steine rollten unter ihm weg. Der goldene Affe sprang hinter ihm her, schnappte nach dem Engel und biss und kratzte ihn. Fast hatten sie es geschafft, nur noch ein kurzes Stück bis zum Abgrund. Doch dann stemmte Metatron sich mit einem gewaltigen Ruck hoch und entfaltete mit letzter Kraft die Schwingen zu einem weißen Baldachin. Unablässig schlugen sie auf und ab, immer wieder, bis Mrs. Coulter loslassen musste. Metatron richtete sich zur vollen Größe auf und hob mit machtvoll schlagenden Schwingen vom Boden ab. Lord Asriel hing an ihm, doch wurde sein Griff zusehends schwächer. Die Finger des goldenen Affen waren unlösbar in die Haare des Engels verkrallt ... Sie schwebten über dem Abgrund. Langsam stiegen sie auf. Bald würde Lord Asriel loslassen müssen und nach unten stürzen, und dann hatte Metatron es geschafft.
    »Marisa! Marisa!«
    Laut gellte Lord Asriels Schrei durch die Höhle. Lyras Mutter stand auf und stolperte zum Rand des Abgrunds, die Schneeleopardin neben sich und ein Sausen in den Ohren. Dann sprang sie mit aller Kraft zu dem Engel, ihrem Dæmon und ihrem sterbenden Geliebten hinauf. Sie bekam die schlagenden Schwingen Metatrons zu fassen und riss alle in den Abgrund.
     
     
    Die Klippenalpe hörten Lyras erschrockenen Ausruf, und wie auf ein Kommando fuhren ihre flachen Köpfe herum.
    Will rannte auf den ihm nächsten Alp zu und hieb mit dem Messer auf ihn ein. Tialys drückte sich von Wills Schulter ab, landete auf der Wange des größten Klippenalps, hielt sich an dessen Haaren fest und stieß, bevor die Kreatur ihn abwerfen konnte, dicht unterhalb des Unterkiefers zu. Der Alp heulte auf und fiel wild um sich schlagend in den Schlamm. Der Klippenalp vor Will starrte benommen auf den Stumpf seines Armes und dann entsetzt auf seinen Fußknöchel, den die abgeschlagene Hand im Fallen noch gepackt hatte. Im nächsten Augenblick fuhr das Messer in seine Brust. Will spürte, wie es noch drei, vier Male mit dem schwächer werdenden Herzen zuckte, dann zog er es heraus, bevor der zu Boden stürzende Alp es ihm aus der Hand reißen konnte.
    Die anderen Klippenalpe kreischten hasserfüllt und wandten sich zur Flucht. Lyra war nichts passiert, doch Will konnte nur an eins denken. Hastig kniete er sich hin.
    »Tialys!«, rief er. »Tialys!« Er schob den Kopf des großen Klippenalps weg, der noch mit den Zähnen nach ihm schnappte. Der Spion war tot. Tief steckten seine Sporen im Hals der Kreatur. Da der Alp weiter um sich trat und biss, schnitt Will ihm den Kopf ab und rollte ihn zur Seite. Erst dann löste er den toten Gallivespier von dem ledrigen Hals.
    »Will«, rief Lyra hinter ihm. »Will, schau dir das an ... « Das Mädchen starrte in die kristallene Sänfte. Sie war unbeschädigt, doch war das Kristall mit Dreck und dem Blut von der Mahlzeit der Klippenalpe beschmiert. Zur Seite gekippt lag die Sänfte zwischen den Steinen, und in ihr
    »Sieh doch, Will, er lebt noch! Aber - der Arme ... «
    Lyra hatte die Hände auf das Kristall gelegt, wie um den Engel zu trösten. Denn er war so alt und hatte offenbar schreckliche Angst. Wie ein Kind weinte er und hatte sich in die hinterste Ecke der Sänfte gedrückt.
    »Er ist sicher uralt. Ich habe noch nie jemand so weinen sehen, können wir ihn nicht rauslassen, Will?«
    Will schnitt mit einer Handbewegung durch das Kristall und fasste hinein, um dem Engel herauszuhelfen. Doch der entkräftete, senile Greis konnte nur weinen und aufgeregt etwas murmeln und schrak vor der vermeintlichen neuen Bedrohung zurück.
    »Schon gut«, sagte Will, »wir wollen dir nur helfen, dich zu verstecken. Komm raus, wir tun dir nichts.«
    Zitternd ergriff der Greis seine Hand und hielt sich daran fest. Er seufzte und wimmerte in einem fort, knirschte mit den Zähnen und zupfte mit der freien Hand zwanghaft an seinem Bart. Doch als auch Lyra die Hand ausstreckte, um ihm herauszuhelfen, versuchte er zu lächeln und sich

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