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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Schlange Robespierre? Sie werden sich um
das Vorrecht streiten, und wer auch immer gewinnt, wird Paris beherrschen, aber
niemals Frankreich regieren. In Lyon, in Nantes, in der ganzen Vendée rufen die
Menschen nach ihrem König. Vorbei? Gütiger Gott, was für eine Närrin du bist.
Es ist nicht vorbei. Es hat kaum angefangen.
    Damit hatte der Herzog von Orléans recht, wie meistens.
Nachdem die Tuilerien gefallen waren, hörten die Alarmglocken überhaupt nicht
mehr auf zu läuten. Die Preußen kämpften sich durch Frankreich voran. Die
Stadttore wurden geschlossen. Den Bürgern wurde befohlen, zu Hause zu bleiben.
Brigaden aus Saint-Antoine patrouillierten in den Straßen und machten Jagd auf
jeden, den sie für einen Feind der Revolution hielten. Tausende wurden ins
Gefängnis geworfen. Adlige wurden verhaftet, einfach nur deswegen, weil sie
adlig waren. Priester, weil sie die Revolution nicht über Gott stellten. Sie
wurden zu Fälschern, Dieben, Bettlern und Prostituierten in die mit Ratten
verseuchten Verliese gesperrt.
    Im späten August fiel die Festung Valmy, der letzte
Verteidigungsposten zwischen Braunschweigs Armeen und der Hauptstadt.
Freiwillige bewaffneten sich und eilten von Paris an die Front. Wahnsinnig vor
Angst griffen die Zurückgebliebenen nach jeder Waffe, die sie finden konnten,
überzeugt, die Preußen würden jeden Moment durch die Stadttore marschieren und
sie alle abschlachten.
    Und dann passierte es. Nicht die Preußen kamen. Oder
die Engländer oder die Osterreicher.
    Etwas viel Schlimmeres.
    Der 2. September 1792.
    25. Mai 1795
    Es war, als wäre jemand in die Friedhöfe von Paris
hinabgestiegen, tief hinunter in die Eingeweide der Stadt, in die Katakomben,
und noch tiefer, bis zu den Pforten der Hölle, um Luzifers Dämonen auf uns
loszulassen.
    Wer hatte das getan?, fragte ich mich, als ich krank
vor Entsetzen in meine Kammer taumelte. Wer hatte die Pforten der Hölle
geöffnet?
    Es begann mit einem verhaltenen, ängstlichen Flüstern.
Auf den Straßen. In den Cafés. Über Mauern hinweg. An Marktständen. Die
Gefangenen planen einen Aufstand, wurde gemunkelt – die Royalisten, die
Priester, all die Feinde der Revolution. Wenn Braunschweigs Armee hier
eintrifft, werden sie sich mit ihr vereinen und jeden Einwohner der Stadt
ermorden. Das Flüstern wurde lauter und lauter, bis es zum Kriegsgeheul
anschwoll.
    Ich war gerade im Temple und trug das Abendessen auf,
als ich das Geschrei zum ersten Mal hörte. Eine Menschenmenge hatte sich unter
den Fenstern des Saals versammelt, wo der König und seine Familie speisten. Ein
höhnisch lächelnder Gardist blickte hinaus und meinte, die Königin solle zum
Fenster kommen, von wo aus sie ihre Freundin, die Prinzessin von Lamballe,
sehen könne. Sie blickte hinaus und erkannte einen Kopf – einen Kopf mit
wehendem blondem Haar, der auf der Spitze einer Pike steckte. Ohnmächtig sank
die Königin zu Boden. Ich eilte zum Fenster, um den Vorhang zu schließen, und
während ich auf den johlenden, lachenden Mob hinabblickte, hoffte ich
inständig, dass die Mauern des Temple stärker waren als die der Tuilerien.
    Stundenlang blieben sie dort unten, sangen ihre Lieder,
tranken, wünschten dem König den Tod und drohten, in den Temple einzudringen
und ihn eigenhändig zu töten. Der Gefängnisaufseher ging schließlich unter dem
Schutz seiner Wachen hinaus, um sie zu vertreiben. Sie erklärten ihm, dass sie,
die rechtschaffenen Bürger von Paris, die Gefängnisse der Stadt von den
Verrätern der Revolution befreien würden, und der König sei der größte Verräter
von allen. Der Aufseher erklärte ihnen, dass viele Missetaten des Königs erst
noch aufgeklärt werden müssten und dass sie selbst im Kerker landen würden,
wenn sie es wagten, das französische Volk seines Rechts zu berauben,
Gerechtigkeit zu üben.
    Das brachte sie zur Besinnung. Sie stellten ihre
Drohungen ein, marschierten davon und der Aufseher ging zurück ins Gebäude. Das
sind nicht die rechtschaffenen Bürger von Paris, sagte er zu einem seiner
Männer. Es sind viele darunter, die ich kenne, viele, die selbst im Gefängnis
gesessen haben.
    Er gab den Befehl, die Anzahl der Wachen an den Toren
zu verdoppeln und schickte dann mich, eine Zofe und drei Küchengehilfen nach
Hause. Durch die engsten Gassen ging ich in

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