Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
hatten. Vielleicht töteten ihn die Geister. Was konnte es sonst noch zu denken geben? Nichts.
Margot, Ed und David Adlergeheimnis waren so betroffen, daß sie erst nach langer Zeit wieder ein Wort herausbrachten.
»Kind, Wakiya, was redest du so irre? Du bist ein guter Schüler. Du kommst jetzt in die zweite Klasse. Nie wirst du einen Menschen töten. Mister Teacock überlegt nicht immer, was er sagt, wenn er zornig ist, und Joe King hat ihn allzusehr aufgebracht, als er noch in eure Schule ging.«
Noch in eure Schule ging! Inya-he-yukan hatte auf den Stühlen, an den Tischen, in den Räumen gesessen, in denen jetzt Wakiya saß. Wakiya legte den Kopf auf ein Kissen zurück, als ob er schlafen wollte. Er wollte aber nur träumen. Daran konnten ihn weder Steinmauern noch Geister hindern. Träume gingen frei aus und ein. Inya-he-yukan war stolz, groß, stark, schlank wie ein junger Krieger. Er würde seinen Feinden auch als Gefangener zu widerstehen wissen. Wakiya-knaskiya träumte für einen Bruder, der sich in Not befand.
Da Wakiya die Augen nicht mehr öffnete, ließ Margot ihn ruhen und breitete nur eine Decke über das Kind, dessen Mund im Traume lächelte. Sie blieb die Nacht über bei ihm sitzen. David und sein Vater legten sich endlich im Zimmer nebenan zu Bett.
Die Ferien gingen vorüber. Es war ein schlechter Sommer. Stürme und Wirbelstürme brausten, Bäume brachen, und den Ranchern entstand Schaden an Vieh. Wakiya konnte nicht oft an seinem Platz in der Prärie sitzen. Er gewöhnte sich daran, in der Hütte auf der Decke zu liegen, wie auch der Vater es in den Jahren seiner Krankheit oft getan hatte. Wakiya-knaskiya - Byron Bighorn hatte erfahren, wie die Geister die Krankheit nannten, an der sein Vater gestorben war - Diabetes oder Zuckerkrankheit - und welchen Namen die Krankheit trug, die Wakiya quälte - Epilepsie.
Die Unterrichtsstunden begannen wieder, und Wakiya lief den weiten Weg, das dritte Jahr nun, als Schüler der zweiten Klasse. Der Weg fiel ihm so schwer wie je, und gegen das Lernen wurde er gleichgültiger, weil er meist müde war. Jeden Monat einmal kam Margot Adlergeheimnis in die Schule, um sich nach Krankheiten der Kinder zu erkundigen. Jedesmal begrüßte sie Wakiya, aber meist schaute er sie gar nicht an, wenn er kurz und undeutlich antwortete. Den Grund dafür konnte sie nicht finden, und so schob sie alles auf seine Schwäche und seine Krankheit, die ihn von den Altersgenossen mehr und mehr fernhielten. Die anderen Kinder konnten das Entsetzen noch nicht vergessen, mit dem sie Wakiyas Anfall in dem Laden miterlebt hatten. Sie scheuten sich unwillkürlich vor ihm, auch wenn die Lehrerin ihnen zu erklären versuchte, daß sie zu Wakiya besonders freundlich und hilfsbereit sein sollten. David saß beim Mittagessen mit seiner Klasse an einem anderen Tisch, und Wakiya schloß sich seit jener Nacht in Davids Heim gegen ihn auch bewußt ab.
So schlich das Schuljahr dahin, und Wakiyas Leistungen ließen weiter nach. Der einzige Mensch, mit dem er sich in dieser Zeit zusammenfand, war seine Mutter, die sich feindselig von Menschen und Welt zurückzog, seitdem sie fürchtete, Wakiya zu verlieren, wie sie seinen Vater verloren hatte.
Gegen Ende des Schuljahres, im Juni, behielt die Mutter Wakiya drei Tage zu Hause, damit er sich von einem Anfall auf dem Schulweg besser erholen konnte. Als er wieder zur Schule ging, gab sie ihm kein Entschuldigungsschreiben mit, denn sie konnte kaum schreiben, und bis dahin waren Wakiyas Schulversäumnisse durch schwere Hindernisse wie Schnee und Sturm immer von selbst entschuldigt gewesen.
Wakiya meldete sich bei seiner Klassenlehrerin, einem jungen blonden eifrigen Geistermädchen. Das Geistermädchen schalt sehr, weil Byron Bighorn unentschuldigt gefehlt hatte. Er hörte sich ihre Worte an, antwortete gar nichts und setzte sich wieder an seinen Platz. Aber sie hieß ihn aufstehen, und er mußte die ganze Stunde hindurch vorn vor der Klasse stehen, weil er unentschuldigt gefehlt hatte und sich auch jetzt nicht entschuldigen wollte. Wakiya schwieg beharrlich, denn er schämte sich, von seinen Anfällen zu sprechen. Miss Gish aber wußte nichts von Wakiyas Krankheit und auch nicht, welchen weiten Weg er täglich zu laufen hatte. Es war ihr nur eingeprägt worden, daß sie bei indianischen Schülern nicht die geringste Disziplinlosigkeit durchgehen lassen dürfte.
Am Ende des Schultages wurde Byron Bighorn auf das Rektorat gerufen. Dort saß eine
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