Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
bleibt alles beim Alten, lediglich mit einem Tag Verspätung.“
„Der hat hoffentlich noch nicht das Maul aufgemacht!“
Roth sah ihn an. Es war auch seine Sorge, er wollte es nicht zugeben, aber er las es in seinem Blick.
„Und das Mädchen? Was ist, wenn du sie nicht findest?“, fragte er noch einmal.
„Sie wird schnurstracks zu ihrem Ehemann eilen – mit dem Kopialbuch. Wohin soll sie sonst gehen? Sie wird nach Heidelberg kommen, glaub’s mir.“ Sein Vetter dachte einen Augenblick nach, ehe er grinsend fortfuhr: „Ich komme gegen Abend mit dem Mädchen und dem Buch. Der Knecht ist da schon bei dir, du hast ihn hinbestellt. Unsere Turteltäubchen sehen einander, morgen früh bringt er das Buch zurück. Kommt hernach wieder zu uns, sein Weibchen abholen. Und dann …“ Roth fuhr erneut mit der Handkante über die Kehle, grinste.
„Was, wenn wir es einfach verschwinden ließen? Fehlt eben ein Kopialbuch, und?“
„Es fehlt, und ein Kanzleiknecht wird tot aufgefunden – wer zieht da keine Schlüsse?“
„Wer weiß, wann man das Fehlen bemerkt.“
Roth schüttelte den Kopf. „Nein, man würde einen Zusammenhang vermuten und zu forschen beginnen.“
„Man würde Jahre brauchen, um auf uns zu kommen. Es wäre besser, man vermisste das Buch, statt irgendwann festzustellen, dass darin radiert wurde.“
„Weniger Aufwand wär’s, ich geb dir recht.“ Roth begann auf und ab zu gehen. Schließlich sagte er: „Nein. Es muss zurück. Dem Culmann sein scheiß Hintern klebt wie Pech an den alten Urkunden. Der spielt Maulwurf, um der Kurpfalz die Landesherrschaft zu sichern, und gräbt sich durch sämtliche Schriftstücke. Erst recht derzeit, da für die Reise nach Amberg jeder Fetzen gesichtet wird. Früher oder später wird das Kopialbuch gebraucht. Da ist’s besser, er findet’s, wenn er’s sucht.“
Roth hatte recht. Vizekanzler Culmann, Oberrat schon unter Johann Casimir, aus alter Heidelberger Bürgerfamilie und furztrocken fleißig, war stets darauf bedacht, seinem Landesherrn Vorteile zu sichern. Der ach so tüchtige Jurist kannte sich aus in der Reichspolitik und den verwickelten territorialen Streitfragen. Sein energisches Vorgehen unter Johann Casimir gegen den Reichsadel – ohne Rücksicht auf Reichsrecht und traditionelle Verbundenheit – war ihm nur allzu gut im Gedächtnis. Er brauchte nur daran zu denken, wie er vor einigen Jahren den Galgen in
seinem
Dorf hatte abschlagen lassen, um zu zeigen, dass der Pfalzgraf Herr über die Gerichtsbarkeit war. Da stieg ihm noch heute die Galle! Nein, was sie taten, war richtig, Roth hatte recht, sie setzten sich zur Wehr gegen ihren Untergang, das einstige Lehen würde in Eigenbesitz hinübergleiten – und es lohnte die Mühe, die sie dafür aufwandten. Daher war es besser, das Buch kehrte ins Archiv zurück. Fürsten hatten eine bessere archivalische Überlieferung als ein jeder ihres Kreises. Wenn da ein Buch fehlte, war das auffälliger, als wenn lediglich eine Stelle im Buch frei gelassen war. Zumal in seinem Fall das Revers, das den Erhalt des Lehens bestätigte – glücklicherweise –, beigelegen hatte. Er hatte es herausgenommen, so konnte es kein Zeugnis mehr für ein Lehen aus uralten Zeiten ablegen.
„Gut“, nickte er daher. „Finde sie.“
„Aye, Vetter. Noch vor Mitternacht bin ich da. Mit Mädchen und Buch, verlass dich drauf.“
Neunundzwanzig
Geraume Zeit schon bildete sein keuchendes Atmen zusammen mit dem Knirschen seiner Schritte im Schnee ein eintöniges Gleichmaß. Doch seit Kurzem mischte sich ein anderes Geräusch dazu: Das Gurren der Wildtaube schien ihnen zu folgen. Jedes Mal, wenn sie sich über ihren Köpfen auf einem Ast niederließ, stäubte Schnee herab. Er könnte es versuchen.
„Vielleicht sind wir ja immerfort im Kreis gegangen“, hörte er das Mädchen hinter sich erschöpft sagen. „Gott, ich ertrage keine weitere Nacht im Freien, wirklich nicht, Master Ryss.“
Ryss blieb stehen, stützte sich auf seinen Wanderstab und ließ den Blick schweifen. Noch immer durchstreiften sie lichten Wald, hügelauf, hügelab. Und auch wenn er sich noch so sehr mühte, eine Richtung auszumachen oder beizubehalten – es war gut möglich, dass sie wirklich im Kreis gingen. Mehrfach hatte er die Schreitspur eines Rebhuhns oder Fasans ausgemacht, ohne zu wissen, ob es sich stets um dieselbe handelte oder ob der Wald hier lediglich reich an diesen Vögeln war. Er sah über die Schulter zu ihr zurück. Sie hatte
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