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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens
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nicht die Absicht hatte, ihr Schicksal in Scruggs Hände zu legen, trotz allem, was die Frau über seine angeblichen Fähigkeiten behauptete – der alte Mann hatte gerade eine Schale mit Suppe auf dem Schreibtisch entdeckt und versuchte nun, sie mit den Fingern zu essen –, aber dann besann sie sich. Was für eine Möglichkeit blieb ihr sonst noch? Wie sollte sie nach Cambridge Falls zu Dr. Pym kommen? Der Junge hatte recht. Sie hatte kein Geld und trug immer noch ihre Sommersandalen. Wie sollte sie für die Fahrkarte bezahlen, für Essen und für warme Kleidung?
    »Und was muss ich dafür tun?«
    Die Frau lächelte, wenn man das, was sich auf ihrem Gesicht abspielte, überhaupt so nennen konnte. Die schmale Linie ihres Mundes wurde ein paar Millimeter weiter. »Du hast also begriffen, dass nichts auf dieser Welt umsonst ist. Gut. Ich bin froh, dass die jungen Mädchen der Zukunft keine kompletten Närrinnen sind.«
    »Ich werde nicht stehlen …«
    Die Frau lachte. Es klang wie ein Peitschenhieb. »Und trotzdem leistest du dir noch Skrupel. Die Wahrheit ist, dass ich noch nicht weiß, was ich für meine Hilfe verlangen werde. Ich werde meinen Preis nennen, wenn es so weit ist, und du kannst selbst entscheiden, ob du ihn zahlst oder nicht. Ist das akzeptabel?«
    Kate warf einen Blick zu Rafe, der am Rand des Daches stand. Sie hatte ihn ein paar Minuten lang nicht angeschaut. Als sie jetzt zu ihm hinsah, wandte er rasch die Augen ab. Aber in dem kurzen Moment davor sah Kate den Ausdruck, auf den sie gewartet hatte: Er kannte sie. Er hatte sie angelogen, denn er kannte sie.
    »Ich warte auf eine Antwort.«
    Immer noch den Blick dem Jungen zugewandt, sagte Kate: »Einverstanden.«
    Miss Burke wies Rafe an, wärmere und unauffälligere Kleidung für Kate zu finden und ihr etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen zu besorgen. Morgen, meinte sie, würden sie weiterreden. Als Kate und der Junge wieder im Kirchenschiff standen, rief Rafe ein Mädchen, das vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als Emma war.
    »Sie braucht was zum Anziehen«, sagte er zu dem Mädchen. »Jungenklamotten. Die Gnome sind hinter ihr her. Je weniger sie wie ein Mädchen aussieht, desto besser.« Als das Mädchen Kate an der Hand nahm und mit sich zog, rief Rafe hinterher: »Denk an eine Mütze für ihre Haare!« Ohne sich umzudrehen, rief das Mädchen zurück: »Hältst du mich für blöd?« Und dann, zu Kate gewandt: »Er tut so, als könnte ich nicht selbst denken.«
    Das Mädchen brachte Kate in einen Raum, in dem sich getragene Kleidungsstücke stapelten. Sie tauchte buchstäblich in einen Haufen hinein und warf Wollhosen, Hemden, Pullover und Schals nach rechts und links. Kate fing auf, was angeflogen kam.
    »Probier die Sachen mal an«, sagte das Mädchen.
    Es war dasselbe Mädchen, dessen Hand Kate aus dem Feuer gezogen hatte. Kate überlegte, ob sich die Kleine an sie erinnerte und wollte sie schon fragen, besann sich dann aber eines Besseren. Sie vermutete, dass sie dieselbe Antwort bekommen würde wie eben Rafe.
    Kate musste an Emma denken. Das Mädchen erinnerte sie an ihre jüngere Schwester. Sie vermisste Emma, sie vermisste sie so sehr, dass sich ihr Körper verkrampfte und sie aufschluchzte.
    »Geht’s dir gut?« Das Mädchen hielt eine Hose hoch, in der Kate und noch vier oder fünf andere Personen bequem Platz gehabt hätten. »Du siehst aus, als müsstest du gleich weinen. Keine Angst. Wir finden schon was Passendes.«
    Kate wischte sich über die Augen und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich weiß. Danke.«
    Nachdem sie etliche Kleidungsstücke verworfen hatte, weil sie entweder zu groß, zu klein, zu löchrig oder zu stinkig waren oder den Anschein hatten, als hätten es sich etliche kleine Lebewesen in dem Stoff bequem gemacht, stand Kate in einer dicken Wollhose, einem weichen Baumwollhemd und einem zweiten, dickeren Wollhemd, einer kurzen Segeltuchjacke und schweren Wollsocken da. Den Mantel, den sie in der Bowery gekauft hatte, hatte sie übergezogen. Sie hatte sich an ihn gewöhnt und wollte sich nicht von ihm trennen. Das Mädchen, das unermüdlich um sie herumsauste und ständig in Bewegung schien, kauerte sich zu Kates Füßen und arbeitete sich durch ein gutes Dutzend Paar Stiefel. Diejenigen, die ihr nicht gefielen, warf sie einfach über die Schulter auf einen großen, unordentlichen Haufen.
    »Perfekt!«, verkündete das Mädchen schließlich.
    Kate sah, dass sie zwei unterschiedliche Stiefel trug, aber sie

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