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Das Dampfhaus

Das Dampfhaus

Titel: Das Dampfhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Unaufhörlich wechselte die umgebende Landschaft vor unseren Blicken, ohne daß die Wohnung sich nur von der Stelle zu bewegen schien. Wir waren an dieses neue Leben schon vollständig gewöhnt, wie ein Passagier an Bord eines überseeischen Dampfers – außer dessen Monotonie, denn uns umschloß nicht immer der gleichbleibende Horizont des Meeres.
    Um elf Uhr ward an diesem Tage in der Ebene ein merkwürdiges Mausoleum von mongolischer Bauart sichtbar, errichtet zu Ehren zweier geheiligter Persönlichkeiten des Islam, nämlich Kassim Soliman’s, des Vaters und des Sohnes; eine halbe Stunde später die starke Festung von Chunar, deren pittoreske Bollwerke einen uneinnehmbaren, vom Spiegel des Ganges hundertfünfzig Fuß senkrecht in die Höhe steigenden Felsen krönen.
    Es kam nicht in Frage, hier anzuhalten, um die Festung zu besuchen, die eine der bedeutendsten im Gangesthale und so gelegen ist, daß sie im Fall eines Angriffs Pulver und Blei gar nicht braucht. Offenbar würde jede Sturmcolonne, welche diese Mauern zu erklimmen suchte, durch eine für diesen Fall bereitliegende Lawine von Felsstücken zermalmt werden.
    Am Fuße derselben breitet sich die gleichnamige Stadt aus, deren schmucke Häuser sich im Grün verbergen.
    Von Benares her wissen wir, daß es mehrere privilegirte Orte giebt, die von den Hindus als Heiligthümer verehrt werden. Bei genauerer Zählung würde man auf der Halbinsel leicht Hunderte von solchen finden. Auch die Veste Chunar besitzt eine solche geweihte Stätte. Hier zeigt man nämlich eine Marmorplatte, auf der irgend ein Gott regelmäßig Siesta hält. Freilich bleibt der Gott dabei unsichtbar. Wir haben uns auch nicht bemüht, ihn zu sehen.
    Abends machte der Stahlriese bei Mirzapore für die nächste Nacht Halt. Wenn es dieser Stadt an Tempeln nicht fehlt, so besitzt sie doch auch gewerbliche Etablissements und eine Verladestelle für die in der Umgegend erzeugte Baumwolle. Sie wird sich einst zu einem bedeutenden Handelsplatze emporschwingen.
    Am nächsten Tage, am 25., kamen wir gegen zwei Uhr Mittags durch den kleineren Fluß Tonsa, der zu dieser Jahreszeit nur einen Fuß Wassertiefe hat. Um fünf Uhr wurde die Stelle passirt, wo sich die Bahnstrecke von Bombay nach Calcutta anschließt. Nahe dem Punkte, wo die Jumma in den Ganges fällt, bewunderten wir den herrlichen Eisen-Viaduct, der seine sechzehn, je sechzig Fuß hohen Pfeiler in den Wellen dieses schönen Nebenstromes badet. Wir kamen ohne Schwierigkeit über die einen Kilometer lange Schiffsbrücke, welche das rechte und linke Ufer verbindet, und am Abend hielten wir nahe einer Vorstadt Allahabads.

    Der nächste Tag, der 26., war zu einem Besuche dieser bedeutenden Stadt bestimmt, von der die Haupt-Bahnlinien Hindostans ausstrahlen. Sie besitzt eine ganz entzückende Lage, inmitten des reichsten Gebietes und zwischen den beiden Wasserläufen der Jumma und des Ganges.
    Die Natur hat offenbar Alles gethan, um Allahabad zur Hauptstadt von Englisch-Indien, zum Mittelpunkt der Regierung und zur Residenz des Vicekönigs zu machen. Es ist auch gar nicht unwahrscheinlich, daß sie das noch einmal wird, im Falle die Cyclone der heutigen Hauptstadt Calcutta gar zu arg mitspielen. Sicher ist, daß einige weitblickende Köpfe diese Eventualität schon in’s Auge gefaßt und erwogen haben. In dem großen Körper, der sich Indien nennt, liegt Allahabad an der Stelle, die das Herz einnimmt, wie Paris im Herzen Frankreichs. London freilich liegt nicht in der Mitte des Vereinigten Königreichs, aber London hat auch nicht ein so ausgesprochenes leitendes Uebergewicht gegenüber den englischen Städten Liverpool, Manchester, Birmingham, wie Paris gegenüber allen Städten Frankreichs.
    – Und von hier aus gehen wir geraden Wegs nach Norden? fragte ich Banks.
    – Ja, antwortete dieser, mindestens ziemlich geraden Wegs. Allahabad bildet im Westen den äußersten Punkt dieses ersten Theiles unserer Reise.
    – Nun endlich! rief Kapitän Hod, diese großen Städte sind ja ganz gut und schön, aber die unendlichen Ebenen, die weiten Dschungeln sind doch weit besser. Wenn wir immer so neben dem Schienenstrange hinziehen, werden wir zuletzt auch noch darauf hinrollen und unser Stahlriese verwandelt sich zur simplen Locomotive! Welche Erniedrigung!
    – Beruhigen Sie sich, Hod, das wird nie geschehen. Wir werden bald in ihre Lieblingsgebiete hinausziehen.
    – Wir fahren also direct auf die indo-chinesische Grenze zu, ohne durch Laknau zu

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