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Das Dorf der Katzen

Das Dorf der Katzen

Titel: Das Dorf der Katzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Fritz
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dem zu warnen, was sie selbst angezettelt hatte.
    Das war schon reichlich vermessen und den guten Leuten in Illasandria wohl schwerlich zu vermitteln.
    Trotzdem hatte sie sich in den Jeep von Ioannis gesetzt und war losgefahren. Sie war entschlossen, die ihr in diesem Spiel zugedachte Rolle so gut zu spielen, wie sie nur konnte. Und dazu gehörte eben auch, das fast Unmögliche zu versuchen.
    Als der Jeep die schlechte Straße den Hügel hinaufrumpelte, kam sie an der Stelle vorbei, wo die Wächter sie vor dem Ch’quar gerettet hatten.
    Man sah noch die Bremsspuren, wo Ioannis den Jeep mit blockierenden Reifen zum Stehen gebracht hatte. Man sah auch noch die Stelle, wo der Boden vom Kampf zerwühlt war, wo ausgerissene Grasbüschel herumlagen.
    Vera hielt an. Sie war seitdem nicht mehr hier gewesen. Wann auch? Obwohl es erst zehn Tage her war, erschien es ihr schon wie eine Ewigkeit.
    Sie stieg aus und ging an den Straßenrand, dort wo der sanft abfallende Hang begann, den Ioannis in jener Nacht mit dem Gewehr in der Hand hinuntergestürmt war und sie zurückbleiben musste. Er hatte sie in Sicherheit geglaubt, stattdessen wäre sie um ein Haar von einer dieser Kreaturen getötet worden.
    Nachdenklich fuhr ihre Hand über die tiefe, unregelmäßige Delle in der Fahrertür, die dieses unsägliche Geschöpf beim Dagegenprallen hinterlassen hatte.
    Sie ließ in einer plötzlichen müden Bewegung den Kopf sinken.
    Warum? Warum nur musste ihr das alles passieren? Sicher, sie hatte mit Ioannis die Liebe ihres Lebens gefunden, aber um welchen Preis? Bereits so viele Menschen und Abbilder tot. Protos auch. Sie konnte nicht einmal sagen, ob Ioannis und sie, ob all die restlichen Menschen in Choriogatos und auch Illasandria überhaupt mit dem Leben davonkommen würden! War es das wert? Vielleicht war alles umsonst?
    Sie kannte das schon. Von Kindesbeinen an war sie manchmal himmelhoch jauchzend und dann wieder zu Tode betrübt gewesen. Sternzeichen Zwilling eben. Seit ihrer Ankunft in Choriogatos hatte Vera diese Wechselbäder der Gefühle immer stärker an sich erlebt. Die Pegelausschläge nach beiden Seiten, nach oben und unten, wurden langsam aber sicher immer größer. Gerade noch lebenslustig und voller Tatendrang, war sie einen Moment später regelrecht depressiv. Es bedurfte dann eines Anreizes, einer wie auch immer gearteten Herausforderung oder eines Stimulans, um sie blitzartig wieder in hektische, zielgerichtete Aktivität zu versetzen. Sie musste sich manchmal über sich selbst wundern.
    Jetzt war es wieder so weit: Ein plötzliches Gefühl der Hilflosigkeit, der Versagensangst überkam sie mit einer derartigen Heftigkeit, dass sie leise schluchzend mit dem Rücken an die Jeeptür gelehnt in die Hocke ging und sich schließlich hinsetzte.
    Da saß sie nun im Staub, irgendwo in der Ägäis auf einem Fliegendreck von einer Insel, weit weg von zu Hause, verstrickt in eine Geschichte, die jede menschliche Vorstellungskraft sprengte. Und sie war allein.
    Sie war zum ersten Mal seit Tagen wieder einmal allein und es wurde ihr so richtig bewusst, dass sie trotz Ioannis, trotz der Menschen in Choriogatos, trotz der Katzen und Wächter im Grunde genommen auch allein bleiben würde. Sie musste diese Geschichte alleine durchstehen.
    Aber das konnte sie nicht schaffen. Das war zu viel für einen!
    Sie barg ihr Gesicht in den Händen und begann zu weinen. Lautloses Schluchzen schüttelte ihren Körper. Sie fühlte sich wie ein kleines hilfloses Mädchen und das war sie im Moment auch.
    Mit einem entsetzten Schrei fuhr sie auf: Etwas Warmes, Haariges war an ihrem nackten Unterschenkel entlang gestrichen.
    Gizmo!
    Der kleine Gauner hatte sich in den Jeep geschmuggelt und war mitgefahren! Jetzt saß er zu ihren Füßen und blickte sie aufmerksam an. Er blinzelte ein paar Mal.
    „Wenn ihr Menschen Wasser aus euren Augen drückt und dazu so klagt, dann habt ihr Schmerzen oder es bedrückt euch etwas“, teilte er ihr seine Besorgnis mit, „du klagst leise aber intensiv. Hast du Schmerzen?“
    Vera schüttelte den Kopf.
    „Dich bedrückt etwas.“
    Vera nickte. Sie schniefte und sah Gizmo an. Sie versuchte ein Lächeln. Sie wollte nicht vor Gizmo so kleinmädchenhaft herumheulen. Herrgott! Jetzt hatte sie schon vor einer Katze Hemmungen!
    „Mich bedrückt das Schicksal aller Lebewesen hier auf der Insel. Mich drückt im wahrsten Sinne des Wortes die Last, die mir auferlegt wurde, ohne mich vorher zu fragen. Diese Last drückt

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