Das Echo der Flüsterer
wandte sich dann Jonas zu.
»Mein Name ist Lischka. Ich leite die Flüsterer, die sich des Bären angenommen haben. Persönlich bin ich für den ›Leitbären‹ verantwortlich, der den Namen Nikita Sergejewitsch Chruschtschow trägt. Leider hört er nicht auf mich, deshalb kann ich ihn nur beobachten.«
»Was hat er sich dabei gedacht, den Kubanern all diese Waffen zu geben?«, fragte Jonas.
»Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ich glaube, Darina möchte zunächst nur erfahren, was ich über die Waffen weiß.«
»Wir haben später noch Gelegenheit über alle Einzelheiten zu sprechen«, gab ihm Darina Recht. »Berichte bitte den anderen zunächst, was du im Verlaufe des Sommers beobachtet hast.«
Lischka nickte. »Chruschtschows Generäle hatten auf seine Anweisung hin Pläne zur nuklearen Aufrüstung von Kuba ausgearbeitet. Bereits seit einiger Zeit lieferte man Düsenjets, Bomber und Raketen zur Bekämpfung von Flugzeugen nach Kuba. Im August liefen die ersten Schiffe mit Atomraketen aus Häfen im Baltikum und dem Schwarzen Meer aus. Vor etwa zwei Wochen erreichten die Frachter Poltava und Omsk ihre kubanischen Zielhäfen. Gerade heute ist die Indigirka eingetroffen. Ihre Ladung besteht aus Atomsprengköpfen, genauso wie die der Alexandrowsk und der Archangel, die noch auf dem Weg nach Kuba sind.«
Jonas erinnerte sich noch sehr gut daran, wie Frank Holloway am Vortag die Gefahr beschrieben hatte, die von Mittelstreckenraketen mit nuklearen Gefechtsköpfen ausgeht. Anscheinend wussten die Vereinigten Staaten noch gar nichts von der Anwesenheit dieser Waffen in ihrem »Hinterhof«.
Darina bedankte sich bei Lischka und übernahm nun selbst wieder den Gesprächsfaden. »All diese Entwicklungen sind dem Rat seit Monaten bestens bekannt und wie ich hörte, habt ihr auch schon Schritte unternommen, um die Menschen zur Besinnung zu bringen, damit dieses gefährliche Wettrüsten endlich aufhört.«
»Vermutlich kommst du jetzt endlich zur Sache, Darina.« Belkan konnte vor Ungeduld schon nicht mehr ruhig sitzen.
»Sofort, Belkan. An dieser Stelle muss ich zunächst an die Malkits erinnern. Seit der Teilung Azons vor beinahe sechstausend Jahren haben sie immer wieder versucht sich einen Vorteil gegenüber uns Bonkas zu verschaffen. Hin und wieder ist ihnen das auch gelungen. In solchen Zeiten haben wir das Echo bemüht, um Menschen herbeizurufen, die uns das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen halfen. Nun aber ist eine außerordentliche Situation eingetreten.«
Jonas hatte das Gefühl, die Luft in dem Kristallsaal sei elektrisch geladen. Alle blickten Darina erwartungsvoll an.
»Die Malkits wollen den Kristall töten«, sagte sie kühl, fast emotionslos.
Ihre schlichte Feststellung hatte eine verheerende Wirkung.
Die Anwesenden waren wie unter Schock, eine quälend lange Pause entstand. Sogar Belkan und Syrda, die schon so manche Krise gemeistert hatten, blickten die Wissende nur entsetzt an. Selbst Kraark schien sich in einen ausgestopften Vogel verwandelt zu haben, wie Jonas mit Besorgnis feststellte. Schließlich war er es – der Wanderer –, der das Schweigen brach.
»Wie… wie wollen sie das anstellen?«
»Ihr Menschen nennt die Methode ›Atomkrieg‹.«
Erneut flogen Erinnerungsfetzen vom vergangenen Tag durch Jonas’ Geist. Das Entsetzen, das er bei Dr. Goulds und Frank Holloways Unterhaltung gespürt hatte, kehrte als eiskalter Schauer zurück.
»Aber wie kann denn eine menschliche Waffe, so schrecklich sie auch sein mag, dem Kristall etwas anhaben?«, fragte Goldan zweifelnd.
»Das hängt mit seiner Gestalt zusammen«, erklärte Darina geduldig. »Wir Wissenden sind sehr gut mit seinem Wesen vertraut, weil ein Teil von allem, was er je erschaffen hat, auch in uns ist. Als der Kristall vor Urzeiten als glühender Meteor ins Meer fiel, bildeten sich einige lange Fasern aus, erstarrte Spritzer, wenn ihr so wollt. Sein ganzes Gewicht ruht auf einigen wenigen dieser dünnen Säulen. Der Kristall gleicht einer Scheibe mit unregelmäßigen Rändern, die auf einer Wippe aufliegt. Wenn man nur eine der feinen Adern zerstört, kann er aus dem Gleichgewicht geraten.«
»Und dazu wären die Menschen fähig?«
»Ja, Goldan. Wenn der Adler seine Atomeier in das Nest des Moskitos wirft, könnte er genau dort eine der tragenden Säulen zerstören. Der Kristall würde zur Seite kippen und im Schlamm des Meeres versinken.«
»In den Chroniken der Legiden wird behauptet, der Kristall könne sich
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