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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Kelsey-Newman-Buch geholt. Auf das Erscheinungsdatum hatte ich natürlich nicht geachtet; mich interessierte nur mein Abgabetermin. Und der stand auf der Grußkarte, die ihrerseits im Buch lag. Also hatte ich es gelesen und rezensiert.
    Jetzt suchte ich etwas eingehender und stieß schließlich auf ein Buch über den Goldenen Schnitt, in dem vorne eine Pressemitteilung mit dem Veröffentlichungstermin «März 08» lag. Das musste es wohl sein. Wenn ich meine Post bloß selber öffnen dürfte, wäre das nie passiert, doch Christopher warf die Luftpolsterumschläge aus dem Postfach immer gleich in den Sondermüll, sodass ich sie nie zu sehen bekam. Einmal hatte ich ihm gesagt, ich fände es nicht gut, wenn auf meinem Schreibtisch alles wie Kraut und Rüben durcheinanderliege, und außerdem sei es mir lieber, er würde meine Post nicht öffnen. Er hatte erwidert, wenn ich das anders haben wolle, solle ich doch einfach ein bisschen ordentlicher und organisierter werden, tagsüber zu Hause arbeiten wie alle ordentlichen Schriftsteller, im Internet recherchieren statt in der Bibliothek und meinen Hund endlich zur Räson bringen. Ich dachte mir, dass er damit wohl recht hatte, ritt nicht weiter darauf herum und sagte ihm auch nicht, dass ich unmöglich den ganzen Tag zu Hause bleiben konnte, weil mir das Atmen dort so schwerfiel. Ihm das so oft vorzuwerfen war nicht ganz fair von mir: Immerhin hatte er uns diese billige Unterkunft ja organisiert, über Dougie, einen Bekannten vom Bauprojekt, der weder Verdienstbescheinigungen noch eine Kaution von uns verlangt hatte. Wie konnte ich ihn also jetzt nach dieser Sache fragen? Es interessierte mich wirklich brennend, wie die Grußkarte es ohne Christophers aktives Zutun geschafft haben sollte, von einem Buch ins andere zu gelangen. Und wo war das verflixte Kelsey-Newman-Buch überhaupt hergekommen?
    ***
    Ich drehte die übliche Abendrunde mit B.: die Stufen hinunter, über den Marktplatz, durch die Royal Avenue Gardens, am Ufer entlang, einmal um den Boat Float herum und zurück durch den Coronation Park. Ich konnte mir immer noch nicht recht vorstellen, wie das Labyrinth aussehen sollte, wenn es fertig war. Heute standen an der Baustelle zwei gelbe Bagger, und rund um das Loch sah man dicke Reifenspuren im Schlamm. Außerdem waren ein paar neue graue Haufen dazugekommen: Steinplatten unter Plastikplanen. Mein Baum stand immer noch. Ich hätte zu gern gewusst, was es eigentlich für ein Baum war, aber obwohl ich seit Jahren tagein, tagaus in der naturkundlichen Abteilung der Bibliothek saß, hatte ich nie daran gedacht, das nachzuschlagen. Der Baum war braun, er hatte Zweige und einen Stamm. Ich wusste nicht einmal, worunter ich ihn eigentlich nachschlagen sollte; mein einziger Anhaltspunkt war, dass er im Winter diese kleinen Dinger abwarf, die wir in der Schule immer «Propeller» genannt hatten. Während B. an den Steinplatten herumschnüffelte, klingelte mein Handy. Es war meine Mutter.
    «Da bist du ja endlich!», rief sie, als hätte sie eine Séance einberufen müssen, um mich zu erreichen.
    «Ich bin immer da», erwiderte ich lachend. «Deswegen sage ich dir doch immer, du sollst mich gleich auf dem Handy anrufen, vor allem, wenn du vermeiden willst, mit Christopher zu reden.»
    «Ich weiß. Aber ich vergesse eben immer, dass ich mir die Nummer auch notiert habe.»
    «Wie geht’s dir denn?»
    «Gut geht’s uns», antwortete sie. «Viel zu tun. Was ist denn da so laut?»
    «Der Wind. Ich bin gerade mit dem Hund draußen. Sag mal, wie heißen noch gleich diese Bäume, auf denen so kleine Propeller wachsen?»
    «Propeller?»
    «Ja, diese kleinen Samenkapseln mit zwei Schwänzchen dran. Wenn sie durch die Luft fliegen, drehen die sich wie Propeller.»
    «Einen Maulbeerbaum meinst du?»
    «Ach ja, klar. Danke.»
    «Brauchst du das für einen neuen Roman?»
    «Nicht direkt. Bess! Entschuldige. Der Hund wollte gerade in ein großes Loch springen.»
    «Wie geht es ihr denn?»
    «Bestens.»
    Meine Mutter wollte immer wissen, wie es mir ging und wie es B. ging, nur nach Christopher fragte sie nie. Alle zwei Monate kratzte ich mein letztes Geld zusammen, um für mich und B. eine Zugfahrkarte nach London zu erstehen und ein Wochenende bei meiner Mutter und meinem Stiefvater Taz zu verbringen, doch sie kamen nie zu uns. Meistens verband ich diese Besuche mit einem beruflichen Termin, um die Fahrt auf die Spesenrechnung setzen zu können; bei den Lektoratskonferenzen übernachtete

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