Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Gebäuden, Autobahnen und Luftverkehr in der Geschichte des Landes in Angriff |215| genommen hat«. Unter eben diesem »untätigen« Präsidenten hatte die amerikanische Regierung ihre Ausgaben für solche Projekte
praktisch verdoppelt.
Obwohl Hoover der Ansicht war, dass noch mehr Geld in solche Projekte gesteckt werden sollte, glaubte er an Maßhaltung. »Ich
kann gar nicht genug betonen, dass es unbedingt notwendig ist, alle weiteren Pläne zur Steigerung der Staatsausgaben aufzuschieben«,
erklärte er. Nur durch »strikte Sparsamkeit« sei ein ausgeglichener Staatshaushalt zu erreichen. Die Botschaft war klar: Kreditfinanzierte
Staatsausgaben würde es unter seiner Führung nicht geben.
Hoover hatte das Pech, in einer Zeit zu leben, die einen Wendepunkt in der Geschichte der Krisenökonomie darstellte. Seine
Rede zeigt einen Mann, der zwischen zwei widersprüchlichen Paradigmen gefangen war. Ein rückwärtsgewandtes verordnete Geduld
und ausgeglichene Haushalte. Ein neues, zukunftsorientiertes setzte auf Staatsverschuldung und massive öffentliche Investitionen.
Hoover erkannte die Zeichen der Zeit, blieb jedoch der Vergangenheit verhaftet. Er wollte äußerst widersprüchliche Ziele unter
einen Hut bringen: Selbstverantwortung, staatliche Hilfe in Krisenzeiten und Haushaltsdisziplin. Das war nicht möglich.
Sechs Jahre nach Hoovers Auftritt vor dem Kongress formulierte John Maynard Keynes eine Theorie, die zum neuen Dogma werden
sollte. In künftigen Krisen würde die Regierung den Staatshaushalt nutzen, um die Wirtschaft zu schützen, die Nachfrage nach
Waren und Dienstleistungen anzukurbeln und den kapitalistischen Instinkt wiederzubeleben, der für die wirtschaftliche Erholung
nötig war. Anders ausgedrückt, die Regierung würde aggressiv Geld ausgeben, in geringerem Maße Steuern senken und diese Maßnahmen
über die Staatsverschuldung finanzieren. Auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu vertrauen, war nun gleichbedeutend
damit, den Patienten leiden zu lassen. In den folgenden Jahrzehnten war die Haushaltspolitik das Mittel |216| der Wahl im Umgang mit Konjunkturtiefs, ob sie nun durch Krisen verursacht worden waren oder nicht.
Genau wie Hoover stehen auch wir an einem Scheideweg der Haushaltspolitik. Aus Keynes’ Instrumentarium mit seinen wenigen
bewährten Werkzeugen ist ein verwirrendes Sammelsurium von Mechanismen geworden, die der Staat einsetzt, um in die Wirtschaft
einzugreifen. Die Regierungen der Vereinigten Staaten und vieler anderer Länder haben nicht nur öffentliche Investitionen
getätigt, sondern auch für andere Zwecke Geld locker gemacht – um zum Beispiel Kredite, Verbindlichkeiten oder Einlagen zu
garantieren oder sogar, um beträchtliche Anteile an Industriekonzernen und Großbanken zu übernehmen. Genau wie sich die Geldpolitik
auf schwer durchschaubare und komplexe Weise entwickelt hat, ist auch die Finanzpolitik zu einer wohlgefüllten und teuren
Trickkiste geworden.
Die politischen Entscheider von heute sehen sich in einer ähnlichen Zwickmühle wie Hoover. Einerseits würden sie gern Steuern
senken und Geld für Konjunkturprogramme ausgeben, andererseits schieben sie oft gewaltige Haushaltsdefizite und eine untragbare
Staatsverschuldung vor sich her. Einerseits würden sie gern Hoovers »Produzenten und Verbraucher« zwingen, sich selbst zu
helfen, doch andererseits springen sie mit immer kostspieligeren Rettungsaktionen in die Bresche. Einerseits wollen sie verantwortungsloses
Risikoverhalten vermeiden, und andererseits liefern sie den privaten Haushalten, Geldinstituten und Unternehmen immer neue
Anreize, genau das Verhalten an den Tag zu legen, das die Krise heraufbeschworen hat.
Kurz, die Haushaltspolitik des 21. Jahrhunderts zeichnet sich durch geballte Widersprüchen aus. Unser Dilemma mag nicht so
groß sein wie das Hooversche, doch auch wir stehen an einer Zeitenwende, an der die alten Methoden nicht länger mit den neuen
Realitäten vereinbar sind.
|217| Das Steuerinstrument der Haushaltspolitik
John Maynard Keynes gilt als einer der Ersten, der Regierungen dazu aufforderte, mithilfe ihrer Steuer- und Ausgabenpolitik
wirtschaftliche Probleme zu lindern. Seine Denkweise war einfach und klar: Im Konjunkturabschwung sinke die Gesamtnachfrage
nach Gütern und Dienstleistungen weit unter das Angebot, was einen Rückgang der Produktion und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit
zur Folge habe.
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