Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Tagebuch – die Eintragungen verrieten Launenhaftigkeit. Tasmin sprang von einem Thema zum anderen. Cari lernte dabei eine neue Tasmin kennen – aber nur in Fragmenten. Diese Bruchstücke zusammenzusetzen, herauszufinden, wer ihre Mutter wirklich gewesen war und was sie wirklich gewollt hatte, war der schwerste Teil der Aufgabe.
Eine Zeitlang aßen sie schweigend. Edward ließ das Thema ruhen, um ihr Gelegenheit zum Nachdenken zu geben. Sie war dankbar dafür, dass er sie nicht drängte.
»Und was ist mit Italien?«, fragte er schließlich. »Fliegst du bald zurück?«
»Sobald ich mit Dan gesprochen habe.« Cari schob das Gemüse von einer Seite des Tellers zur anderen. Plötzlich überkam sie ein furchtbares Heimweh. Heimweh nach Ligurien, nach Aurelia, nach Marco. Heimweh? »Ich überlege, ob ich die Wohnung verkaufen soll.«
Wie kam sie plötzlich darauf? Sie staunte über sich selbst. Eine Reise nach Italien, ein längerer Aufenthalt, sogar ein ganzer Sommer waren eine Sache … Aber hatte sie wirklich vor, dort zu leben?
»Um nach Italien zu ziehen?« Edward wirkte erschrocken. Seine Augen verschleierten sich.
Er mochte sie, das erkannte sie jetzt. Und sie war seine Verbindung zu Tasmin, genauso wie er ihre. Bis zum Tod ihrer Mutter hatte sie Edward nicht wirklich nahegestanden – er war nur eine Randfigur in ihrem Leben gewesen, immer da, aber wenig beachtet. Das bedauerte sie jetzt. Er war der Freund ihrer Mutter gewesen und hätte auch der ihre sein können.
»Ich weiß es noch nicht sicher.« Sie zuckte die Achseln. Vielleicht hatte sie das Gefühl, dort zu Hause zu sein, weil sie in Italien ihre Großmutter gefunden hatte, weil sie sich unter dem weiten italienischen Himmel verliebt hatte. Reichte das aus? Doch sie wusste, dass da noch mehr war.
Edward konzentrierte sich auf seinen Teller, als wage er nicht, sie anzusehen. »Aber du musst doch von etwas leben. Was wird aus deinem Brautmodengeschäft?«
»Das wird nicht weiter schwierig sein.« Cari zuckte erneut die Achseln. »Ich kann überall Kleider entwerfen. Und zufällig schneidere ich gerade schon eines.« Sie erzählte die Geschichte von Carmellas Hochzeit.
»Und wenn du keine weiteren Kunden findest?«
»Dann arbeite ich einfach in einer Bar oder gebe Englischunterricht.« Sie griff nach seinem Arm. »Ich brauche einen Tapetenwechsel«, bekräftigte sie. »Einen Neuanfang. Ich glaube, das kann mir Italien bieten.« Und Marco? Wie viel davon hatte mit ihren Gefühlen für Marco Timpone zu tun?
Er nickte zögernd. »Ich könnte deine Wohnung für dich vermieten, falls du sie doch lieber erst mal nicht verkaufen möchtest.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich brauche einen sauberen Schnitt.« Außerdem wollte sie etwas Geld zur Verfügung haben – nur für den Fall.
»Das ist eine schwerwiegende Entscheidung.« Wenigstens lächelte er dabei. »Du wirst mir fehlen, Cari.«
»Du mir auch.« Sie erkannte, dass es der Wahrheit entsprach.
Genau wie Aurelia würde sie England vermissen. Doch etwas zog sie unwiderstehlich zurück nach Italien. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Und sie würde diesen Weg einschlagen – ohne zu wissen, wohin er sie führen würde.
K
apitel 37
»Dan, wir müssen reden!«
Er war sofort ganz Ohr. »Cari, Liebes …«
»Nein, bitte unterbrich mich nicht!« Sie hatte eine Stunde gewartet, bis auch der letzte Besucher gegangen war. Diesmal musste sie hart bleiben. Vermutlich würde ihm das, was sie ihm mitzuteilen hatte, nicht gefallen, aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen, ob er nun im Krankenhaus lag oder nicht. Mein Gott, wie sehr sie Kliniken hasste! All diese Gerüche nach Arznei und Desinfektionsmitteln und dünnem, trübem Tee, hektischen Krankenschwestern, die weißen Kittel und Bettpfannen, die Schmerzensschreie aus dem Nachbarzimmer. Sie fand es grauenvoll.
Abwehrend hob er die Hände. »Schon gut, mir bleibt ja keine andere Wahl.«
Cari atmete tief ein. Es musste sein. »Dan, du weißt, dass es zwischen uns aus ist, nicht wahr?«
Keine Reaktion.
»Hast du mich am Telefon verstanden?« Versteht er mich jetzt?
»Ich habe dich verstanden.« Ihre Blicke trafen sich. Seine Finger drehten Haarsträhnen, bis sie wie Igelstacheln aussahen. Er hatte abgenommen. Die Sommersprossen in seinem blassen Gesicht stachen grell hervor.
Alles in diesem Krankenhaus war bleich und farblos – egal, wohin man blickte.
Dan zupfte am Bettzipfel. Über ihm hatten sie seinen Namen angebracht. Daniel
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