Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
verführerische Augen er hat!, dachte Cari. Dunkler Dreitagebart, hohe Wangenknochen und verführerische schwarze Augen. Was für eine Kombination!
»Ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen.«
»Marco.« Ein strahlendes Lächeln.
»Es freut mich, dass wir nun Nachbarn sind, Marco.« Sie betonte den Namen, wie er es getan hatte. »Ich bin Cari.«
Er machte eine Verbeugung und küsste ihr die Hand. »Ich bin entzückt, Sie kennenzulernen – wie ihr Engländer immer sagt.« Wieder sah er ihr tief in die Augen.
»Nicht in diesem Jahrhundert.« Sie zögerte. »Sehen Sie, ich würde Sie ja gern hereinbitten, also, ich meine, richtig einladen, nur …« Nur dass Dan jede Minute kommen konnte. Und sie wollte nicht, dass die beiden sich trafen, noch nicht.
Er hob abwehrend die Hand. »Ist schon in Ordnung. Aber wenn Sie irgendwann einmal auf einen Kaffee zu mir kommen möchten …« Er zuckte die Achseln. »Ich besitze eine echt italienische Espressomaschine.«
»Natürlich.« Sie kicherte. War das ein typisch italienischer Flirtspruch?
»Also?«
»Ich würde mich freuen.«
»Okay.« Er klatschte in die Hände. »Heute Abend?«
Cari lachte. »Nein, heute Abend kann ich nicht, ich kriege Besuch von einem Freund.« Warum erzählte sie ihm nicht einfach, dass Dan nicht irgendein Freund, sondern ihr Lebensgefährte war? Warum zierte sie sich so? Sie trat zu ihm an die Tür. »Ein andermal.«
»Ja, ein andermal.« Sein Blick glitt tiefer, und sie fühlte beinahe, wie er den Anhänger fixierte – obwohl er ihn unter ihrer weiten weißen Bluse nicht sehen konnte.
Einem Impuls folgend, zog sie ihn hervor. »Er hat meiner Mutter gehört.«
Seine Augen weiteten sich, und er holte tief Luft. »Er ist wunderschön.« Marco trat näher, griff danach und betrachtete ihn beinahe ehrfürchtig.
Sie standen dicht beieinander. Cari sah, wie sich Marcos Brust unter dem schwarzen T-Shirt hob und senkte. Sie nahm die Bewegungen seines Kehlkopfs wahr und den Schwung seiner dunklen Wimpern. Es ist seltsam, dachte sie, einem Fremden so nahe zu sein. Nahe genug, um ihn zu berühren.
»Vermutlich ist er sehr alt«, sagte er.
»Ja, bestimmt.« Sie glaubte, sein Alter spüren zu können, die vergangenen Jahrhunderte, sogar die Gegenwart der Frauen, die ihn getragen hatten.
»Kennen Sie seine Geschichte?«
»Ich habe keine Ahnung.« Was für eine merkwürdige Frage! Aber italienische Männer, so lernte sie gerade, waren ganz anders als die englischen.
Ihre Blicke trafen sich. Abrupt ließ er den Anhänger los. »Ich muss gehen. Entschuldigen Sie mich bitte.« Und weg war er, zur Tür hinaus und zwei Stufen der Treppe auf einmal nehmend.
Cari blickte ihm nach. Was sollte sie von ihrem neuen Nachbarn halten? Sie schloss die Tür und lehnte sich einen Moment mit dem Rücken dagegen. Er war auf jeden Fall faszinierend, so viel war klar. Und die Welt war doch wirklich klein – oder sollte es aus irgendwelchen Gründen Bestimmung gewesen sein, dass sich ihre Wege kreuzten? Cari schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf, weil ihre Gedanken schon wieder zu wandern begannen. Bestimmung? Wohl eher Zufall. Und dennoch … Sie freute sich schon jetzt darauf, ein wenig mehr über Marco, den geheimnisvollen Fremden, herauszufinden. Ja, sie freute sich darauf.
K
apitel 11
In dieser Nacht träumte Aurelia von Richard. Vielleicht lag es an dem Theaterbesuch oder an der Auseinandersetzung mit Enrico, vielleicht aber auch einfach daran, dass sie mit zunehmendem Alter häufiger über die ungelösten Probleme der Vergangenheit nachsann, und das mit jedem Tag mehr.
Der Traum handelte von tatsächlichen Ereignissen. Ihre Mutter Mary lebte noch und lag um Atem ringend im Bett. Aurelia saß an ihrer Seite, flößte ihr gesüßten heißen Tee mit Brandy ein und dachte dabei über die Welt außerhalb ihrer eigenen kleinen Welt nach. Sie fragte sich, was die Zukunft bringen würde, nun, da der Krieg vorüber war.
Ihre Mutter war wieder einmal krank. Sie hatte Asthma. Manchmal bekam sie einen Hustenanfall, der ein solch entsetzliches Rasseln in ihrem Brustkorb erzeugte, dass Aurelia am liebsten laut geschrien hätte.
Ihr Vater schickte Dorrie eilends zum Arzt, mit einer kalten, gefühllosen Stimme, die Aurelia schaudern ließ, da dies schlimmer war als seine Zornesausbrüche. Aurelia wachte mit ihrem Vater im Krankenzimmer. Sie hasste jeden seiner Atemzüge – mühelose Atemzüge, wie sie ihrer Mutter nicht vergönnt waren.
Aurelia musste
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