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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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konnte.
    Sie griff nach einem ihrer kurzen, dicken Pinsel und bearbeitete die Grautöne entlang des geschwungenen Kinns auf ihrer Leinwand mit winzigen, einander überlappenden Strichen. Ja, so war es in etwa richtig; blass wie gebranntes Porzellan, aber mit einem lebhaften Schatten darunter - zart und erdig zugleich.
    Sie malte mit einer tiefen Konzentration, die ihre Umgebung verschwinden ließ, gefangen in der Doppelvision des Künstlers, die das auf der Leinwand entstehende Gemälde mit dem Bild verglich, das sich so unauslöschlich in ihr Gedächtnis gegraben hatte. Nicht, dass sie noch nie einen Toten gesehen hatte. Ihr Vater - Frank - hatte bei seiner Begräbniszeremonie in einem offenen Sarg gelegen, und sie hatte in ihrer eigenen Zeit mehrfach die Obsequien älterer Freunde der Familie besucht. Doch die Farben der Bestatter waren schlicht und beinahe primitiv im Vergleich mit denen eines gerade Verstorbenen. Der Kontrast hatte sie völlig verblüfft.
    Es lag am Blut, dachte sie, während sie nach einem feinen, zweihaarigen Pinsel griff, um einen Tupfer pures Viridiangrün in die Vertiefung der Augenhöhle zu setzen. Blut und Knochen - allerdings veränderte der Tod weder die Konturen der Knochen, noch die Schatten, die sie warfen. Doch das Blut verlieh diesen Schatten Farbe. Bei einem lebendigen Menschen sah man die Blau- und Rottöne, die Rosa- und Lavendelfarbe des fließenden Blutes unter der Haut; im Tod versiegte der Blutfluss, es sammelte und verdunkelte sich... stahlblau, violett, indigo, braunlila... und etwas Neues: jenes zarte, vergängliche, kaum sichtbare Grün, das ihr Künstlerhirn mit brutaler Klarheit als »beginnende Rotte« klassifizierte.
    Im Flur erklangen unvertraute Stimmen, und sie blickte argwöhnisch auf. Phoebe Sherston liebte es, Besucher zu ihr zu führen, um das entstehende Gemälde bewundern zu lassen. Normalerweise machte es Brianna nichts aus, beobachtet zu werden oder über ihre Arbeit zu reden, doch dies war eine
schwierige Stelle, und ihre Zeit war knapp; mit solch subtilen Farben konnte sie nur kurz vor Sonnenuntergang arbeiten, wenn das Licht klar, aber diffus war.
    Doch die Stimmen gingen weiter zum Salon, und sie entspannte sich und griff nach dem dickeren Pinsel.
    Sie rief sich das Bild erneut ins Gedächtnis; den Toten, den die Männer in Alamance neben dem improvisierten Feldlazarett ihrer Mutter unter einen Baum gelegt hatten. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass die Verletzungen der Schlacht und der Anblick des Todes sie schockieren würden - und war stattdessen über ihre eigene Faszination schockiert gewesen. Sie hatte Furchtbares mit angesehen, doch es war anders als die normalen Sprechstunden ihrer Mutter, wo sie Zeit hatte, Mitgefühl für die Patienten zu entwickeln und Notiz von all den kleinen Würdelosigkeiten und Widerlichkeiten des menschlichen Körpers zu nehmen. Auf einem Schlachtfeld ging alles viel zu schnell; es war viel zu viel zu tun, als dass sich Zimperlichkeit hätte breit machen können.
    Und trotz dieser drängenden Eile war sie jedes Mal, wenn sie an dem Baum vorbeikam, einen Moment stehen geblieben. Hatte sich gebückt, um die Decke über der Leiche zurückzuschlagen und dem Mann ins Gesicht zu sehen; angewidert von ihrer eigenen Faszination, ohne ihr jedoch auch nur versuchsweise Widerstand zu leisten, hatte sie sich die erstaunliche, unausweichliche Veränderung in Farbe und Schatten eingeprägt, die Erstarrung der Muskeln und die Veränderungen der Konturen, als sich die Haut setzte und um die Knochen schmiegte und die Prozesse des Todes und Verfalls mit ihrer Grauen erregenden Magie begannen.
    Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, sich nach dem Namen des Mannes zu erkundigen. War das gefühllos von ihr?, fragte sie sich. Wahrscheinlich; doch es war nun einmal so, dass all ihre Gefühle damals anderweitig beschäftigt gewesen waren - es nach wie vor waren. Dennoch schloss sie kurz die Augen und sprach ein rasches Gebet für den Seelenfrieden ihres unbekannten Modells.
    Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass das Licht blasser wurde. Sie schabte die Palette sauber und begann, ihre Pinsel und Hände zu reinigen, während sie langsam und widerstrebend in die Welt außerhalb ihrer Arbeit zurückkehrte.
    Jemmy hatte bestimmt schon zu Abend gegessen und gebadet, doch er weigerte sich einzuschlafen, wenn sie ihn nicht stillte und in den Schlaf wiegte. Bei diesem Gedanken begannen ihre Brüste, sacht zu kribbeln; sie waren angenehm

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