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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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an seiner Stelle weiter zu massieren, und sie langte hinter sich, um seinen angespannten Oberschenkelmuskel sanft zu kneten.
    »Ja. Sie - bei einem Luftangriff. Eine Bombe.«
    »In Schottland? Aber ich dachte -«
    »Nein. In London.«
    Er wollte nicht darüber reden. Er hatte noch nie darüber geredet. Wenn ihn seine Erinnerungen bei einer seltenen Gelegenheit in diese Richtung führten, wich er aus. Dieses Territorium befand sich hinter einer verschlossenen Tür mit einem großen »Zutritt-verboten«-Schild, die er noch nie zu passieren versucht hatte. Heute Nacht jedoch... Briannas bestürzte Reaktion bei dem Gedanken, dass ihr Sohn keine Erinnerungen haben könnte, durchlief ihn wie ein Echo. Und er spürte dasselbe Echo wie einen leisen Ruf von der Frau kommen, die in seinem Kopf hinter dieser Tür eingesperrt war. Aber war die Tür wirklich abgeschlossen?
    Mit einem hohlen Gefühl in der Brust, das womöglich Angst war, streckte er die Hand aus und legte sie auf die Klinke dieser verschlossenen Tür. An wie viel konnte er sich noch erinnern?
    »Meine Oma, die Mutter meiner Mutter, war Engländerin«, sagte er langsam. »Sie war Witwe. Als mein Vater umkam, sind wir zu ihr nach London gefahren und haben bei ihr gewohnt.«
    An seine Großmutter hatte er seit Jahren genauso wenig gedacht wie an seine Mutter. Doch als er jetzt von ihr sprach, konnte er den Rosenwasserduft der Glyzerinlotion riechen, die seine Großmutter für ihre Hände benutzt hatte, den etwas muffigen Geruch ihrer Etagenwohnung an der Tottenham Court Road, die mit viel zu großen Rosshaarmöbeln vollgestellt war, Überreste eines vorigen Lebens, das ein Haus, einen Ehemann und Kinder beinhaltet hatte.
    Er holte tief Luft. Brianna spürte es und presste ihren breiten, festen Rücken ermunternd an seine Brust. Er küsste ihren Nacken. Also ließ sich die Tür tatsächlich öffnen - vielleicht nur einen Spalt breit, doch das Licht eines Londoner Winternachmittags fiel hindurch und beleuchtete einen Stapel abgenutzter Holzklötze auf einem zerschlissenen Teppich. Eine Frauenhand baute einen Turm damit, und die blasse Sonne versprühte Regenbogen von einem Diamanten an ihrer Hand. Beim Anblick dieser schlanken Hand krümmten sich seine eigenen Finger automatisch.
    »Mama - meine Mutter -, sie war klein, wie Oma. Das heißt, mir kamen sie beide groß vor, aber ich kann mich erinnern... ich kann mich erinnern,
dass sie sich auf die Zehenspitzen gestellt hat, wenn sie etwas aus dem Regal holen wollte.«
    Gegenstände. Der Teewagen mit der Zuckerschüssel aus Kristall. Der verbeulte Kessel, drei große Tassen, die nicht zueinander passten. Auf der seinen war ein Pandabär gewesen. Eine Packung Kekse - hellrot mit dem Bild eines Papageien... mein Gott, er hatte die Sorte nie wieder gesehen, ob sie noch hergestellt wurden? Nein, natürlich nicht, nicht jetzt...
    Er rief seine wandernden Gedanken mit Nachdruck von ihren Abwegen zurück.
    »Ich weiß, wie sie ausgesehen hat, aber zum Großteil von Bildern, nicht aus meiner eigenen Erinnerung.« Und doch konnte er sich erinnern, begriff er mit einem verstörenden Gefühl in der Magengrube. Er dachte »Mama«, und plötzlich sah er keine Fotos mehr; er sah ihre Brillenkette, eine Reihe winziger Metallkugeln auf einer sanft gerundeten Brust; er spürte eine angenehme, warme Glätte, die nach Seife duftete, an seiner Wange, den Baumwollstoff eines geblümten Hauskleides. Blaue Blumen. Wie Trompeten geformt, mit gewundenen Ranken; er konnte sie deutlich sehen.
    »Wie hat sie ausgesehen? Siehst du ihr irgendwie ähnlich?«
    Er zuckte mit den Achseln, und Brianna drehte sich zu ihm um, den Kopf auf ihren ausgestreckten Arm gestützt. Ihre Augen schimmerten in der Dunkelheit, und die Neugier hatte ihre Müdigkeit vertrieben.
    »Ein bisschen«, sagte er langsam. »Ihr Haar war dunkel wie meins.« Glänzend, lockig. Es hob sich im Wind, mit weißen Sandkörnern übersät. Er hatte ihr Sand auf den Kopf gestreut, und sie strich ihn sich lachend aus dem Haar. Irgendwo am Strand?
    »Der Reverend hatte ein paar Bilder von ihr in seinem Studierzimmer. Auf einem hat sie mich auf dem Schoß. Ich weiß nicht, was wir angesehen haben - aber wir sehen beide so aus, als müssten wir uns große Mühe geben, um nicht loszulachen. Auf diesem Bild sehen wir uns sehr ähnlich. Ich glaube, ich habe ihren Mund - und... vielleicht... die Form ihrer Augenbrauen.«
    Lange Zeit war es ihm eng in der Brust geworden, wenn er dieses Bild

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