Das Fuenfte Evangelium
soll das heißen?«
»Donat ist fort, soll das heißen, schöne Frau, fort, weg!«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht«, erwiderte der Gärtner, »aber als ich letzte Woche Dienstag – ich komme jeden Dienstag – hierher kam, war das Haus leer, ausgeräumt, Donat und seine Frau verschwunden. Ich hab' den Hausverwalter angerufen, um zu erfahren, was los ist, aber der wußte auch nichts. Es hat ihn auch nicht besonders aufgeregt, weil die Miete noch drei Monate im voraus bezahlt ist. Ich bekomme mein Geld vom Hausverwalter. Ja, so ist das.«
Anne und Adrian sahen sich an. In ihrer Ratlosigkeit war Anne den Tränen nahe, sie blickte starr auf das leere alte Haus ohne Vorhänge und wiederholte: »Ja, so ist das.« Das klang verbittert, und in ihr wurde wieder jene quälende Ahnung wach, einen verbotenen Weg betreten zu haben.
Unaufgefordert begann der Gärtner zu erzählen: »Wissen Sie, eigentlich kannte ich die Leut' überhaupt nicht; deshalb kann ich über sie weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes berichten. War wohl auch nicht das beste Verhältnis zwischen den beiden. Ist aber auch nicht einfach, eine Frau immer nur im Rollstuhl! Wer weiß, was da vorgefallen ist. Na, geht mich ja auch nichts an. Kannten Sie die Herrschaften länger?«
»Nein, nein«, beeilte sich Anne zu antworten, und sie fügte die Frage hinzu: »Und Sie wissen wirklich nicht, wo die Leute hin sind?«
Der Gärtner schüttelte den Kopf: »Nicht einmal der Nachbar von nebenan hat bemerkt, daß sie fort sind. Verstehe ich nicht, wie man über Nacht mit Sack und Pack verschwinden kann, wirklich, verstehe ich nicht.«
Anne lächelte gezwungen. Sie atmete auf. Das Gefühl des Unbehagens, das sie im ersten Augenblick ergriffen hatte, wich einer gewissen Befreiung. Sie mußte nicht mehr fürchten, in diesem alten Haus etwas entdecken zu müssen, das sie entsetzen würde, etwas Schmerzliches.
Als sie zu ihrem Auto gingen, legte Adrian den Arm um Anne. Er schien genauso ratlos wie sie.
»Und jetzt?« fragte Anne, nachdem sie am Steuer ihres Wagens Platz genommen hatte. »Wie soll das weitergehen?«
»Laß uns morgen darüber reden«, erwiderte Kleiber und streckte sich auf dem Autositz. »Ich bin müde, und wenn ich müde bin, kann ich nicht denken. Bring mich zum Hotel.«
Anne verabschiedete sich vor dem Hotel mit einem flüchtigen Kuß. Zu Hause fühlte sie sich unbehaglich. Das Haus kam ihr fremd vor, beinahe feindselig. Die Bilder an den Wänden und die Skulpturen, an denen sie immer Gefallen gefunden hatte, blickten sie unverständlich an. Nur um etwas zu tun, schaltete Anne alle Lichter an, kramte lustlos in der Post, die sich angehäuft hatte, und goß sich einen Cognac ein, ohne daran zu nippen. Sie war an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr weiterwußte, und ihre ganze Hoffnung richtete sich auf Kleiber.
Diesem Kleiber brachte sie viel mehr Zuneigung entgegen, als sie sich, vor allem aber ihm eingestehen wollte; aber der Schock über Guido saß einfach zu tief. Es würde sie gewiß Überwindung kosten, nach allem was geschehen war, sich wieder einem Mann hinzugeben. Adrian wollte es, das fühlte sie, und sie fürchtete, eines Tages könnte das zur Katastrophe führen. Sie preßte ihre Hände vor die Augen. Nur nicht daran denken!
Im Grunde genommen war sie eine Närrin. Sie hetzte einem Phantom hinterher, dem Wahnsinn nahe – und alles nur aus gekränkter Eitelkeit, weil ihr Mann sie hinter ihrem Rücken betrogen hatte. Nicht zum ersten Mal stellte sich Anne die Frage, ob es den Aufwand lohne, ob ein Name, das Wissen um einen Sachverhalt, ihr Leben wieder in ruhigere Bahnen lenken würde. Doch die Frage war schon deshalb müßig, weil sie sich in die einmal begonnenen Nachforschungen so sehr verstrickt hatte, daß sie gar nicht mehr anders konnte: Ihr blieb nichts anderes übrig, als weiterzumachen.
2
S ie mußte wohl eingeschlafen sein, denn als das Telefon läutete, schreckte sie hoch, als hätte ein Schuß die Stille zerrissen. Anne blickte auf die Uhr. Kurz nach 21 Uhr. Sie ging auf das Telefon zu, das schrill und feindselig tönte, und schlich um den Apparat, mißtrauisch wie eine Katze. Wer konnte das sein um diese Zeit? Zuerst ließ sie es läuten, weil sie hoffte, der Anrufer würde aufgeben, aber als ihr der Lärm unerträglich wurde, hob sie ab.
Es war Kleiber. »Ich muß dich dringend sprechen«, sagte er. Seine Stimme klang aufgeregt.
»Nicht jetzt«, erwiderte Anne. »Ich bin müde, versteh
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