Das Geheime Vermächtnis
howl and the wind sports free,
They laid him there on the lone prairie.«
Sein Lied klang so klagend wie der leere Wind, und es wehte einfach durch Caroline hindurch. Sie fühlte sich so substanzlos wie Luft, so ungreifbar wie die Wolken über ihr. Ihr Blick kehrte zu dem Sarg aus hellem Holz zurück. Nichts da ran erinnerte sie an Corin. Es war, als wäre er vom Angesicht der Erde gewischt worden, dachte sie, und es erschien ihr unmöglich, dass so etwas geschehen sein könnte. Sie besaß keine Fotografien, kein Porträt von ihm. Jetzt schon verlor sich sein Duft aus seinem Kopfkissen, von seinen Kleidern. Hutch, Joe, Jacob Fosset und drei weitere Männer traten zu beiden Seiten an den Sarg heran, packten mit ihren wettergegerbten Händen die Seile und stemmten sich gegen die Last. Der Pastor begann wieder zu sprechen, doch Caroline taumelte davon, den Hügel hinab. Die Falten des geliehenen Kleides flatterten hinter ihr drein wie ein finsteres Echo ihres Hochzeitskleids. Sie konnte es nicht ertragen, das Gewicht an jenen Seilen zu sehen, die Spannung in diesen Händen. Sie konnte das Bild davon nicht ertragen, was diesen Sarg so schwer machte, und die klaffende Schwärze des offenen Grabs, das ihn erwartete, entsetzte sie.
»Lass sie keine Sekunde lang allein. Keine einzige Sekunde, Maggie. Sie war schon furchtbar einsam, als Corin noch lebte, Gott steh ihr bei«, flüsterte Angie Magpie zu, als sie sich nach dem Begräbnis verabschiedete. Caroline stand direkt neben ihnen, aber Angie vermutete richtig, dass sie gar nicht zuhörte. Angie wandte sich ihr zu und legte ihr die kräftigen Hände auf die Schultern. »Ich komme am Dienstag wieder, Caroline«, sagte sie traurig, doch als sie die Haustür öffnete, fand Caroline endlich ihre Stimme wieder.
»Gehen Sie nicht!«, krächzte sie. Sie ertrug es nicht, al lein gelassen zu werden, ertrug diese Leere nicht. Die offenen Räume im Haus wirkten auf sie jetzt ebenso furchterregend wie die draußen. »Bitte … gehen Sie nicht, Angie.« Angie drehte sich um. In ihrem Gesicht spiegelte sich schmerzliches Mitgefühl.
»Ach, Caroline!«, seufzte sie und umarmte ihre Nachbarin. »Ihr Kummer bricht mir wahrhaftig das Herz.« Caroline begann zu weinen und sank hilflos an Angies Schulter.
»Ich … ich kann es nicht ertragen … Ich ertrage es einfach nicht! «, schrie sie und glaubte, von ihrer Qual in Stücke gerissen zu werden. Magpie schlug die Hände vors Gesicht und neigte voll Trauer den Kopf.
Doch Angie musste irgendwann wieder gehen – sie hatte selbst eine Familie zu versorgen. Magpie war bei Caroline, so oft es nur ging. Sie schlief auf einer Decke im Wohnzimmer, William an ihrer Seite. Seine nächtlichen Schreie ließen Caroline in Panik aus dem Schlaf fahren, weil sie so laut und fremd waren. Sie glaubte, es seien Kojoten im Haus oder Corin sei zurückgekehrt und schreie vor Schmerzen. Doch als sie richtig zu sich gekommen war, überkam sie wieder diese beharrliche, dumpfe Mattigkeit. Eines Nachts beobachtete sie durch einen Spalt in der Tür, wie Magpie im Kerzenschein das Baby stillte. Sie sang dabei so leise, dass man ihre Stimme für den Wind hätte halten können oder für das Blut, das Caroline in den Ohren rauschte. Sie spürte die Dunkelheit in ihrem Rücken wie eine Bedrohung, wie ein Ungeheuer, nach dem sie sich nicht umzublicken wagte. Die Dunkelheit des Schlafzimmers, das nun so leer war wie alles andere in ihrem Leben. Wenn sie allein in ihrem Bett lag, spürte sie die schmerzliche Sehnsucht nach Corin wie ein Messer, das ihr langsam im Herzen herumgedreht wurde. Also blieb sie lange an dem Türspalt stehen und klammerte sich wie eine Motte an den Kerzenschein. Und schließlich hörte Magpie zu singen auf und bewegte sich ganz leicht, gerade genug, um anzuzeigen, dass sie sich beobachtet fühlte.
Der Kampf gegen die sommerliche Hitze erschien Caroline jetzt kaum mehr der Mühe wert. Sie tat, was man ihr sagte, und aß, solange Magpie bei ihr saß und sie dazu drängte. Abends sprach Magpie leise über unbedeutende Dinge, während sie Caroline auszog und ihr das Haar bürstete, ge nau, wie ihr Dienstmädchen Sara es früher getan hatte. Caro line schloss die Augen und versetzte sich in jene Zeit zurück, die finsteren Jahre nach dem Tod ihrer Eltern, als sie geglaubt hatte, sie würde niemals wieder so traurig und verloren sein. Aber dies war schlimmer – viel, viel schlimmer.
»Erinnerst du dich daran, wie mein Vater uns einmal in den
Weitere Kostenlose Bücher